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Feind der Ewigkeit

■ Guy Debord, Antikünstler, Großstadtrebell, Gesellschaftsfeind und Großmeister des Scheiterns, ist tot

Daß am Ende nur mehr wenige mit seinem Namen etwas verbanden, daß sein greifbares „theoretisches“ Werk schmal, seine Aktionen schlecht dokumentiert, sein Film „Hurlements en faveur de Sade“ lange Zeit verschollen war, hätte ihm im Grunde recht sein müssen. Guy-Ernest Debord, 1931 in Paris geboren, Begründer der „Situationistischen Internationale“, war in Aktion wie Proklamation nicht nur ein großer Aggressor gegen alles Etablierte, sondern auch ein Arbeiter am Verschwinden, ein Großmeister des Scheiterns, ein erklärter und erbitterter Feind der Ewigkeit. Was umgekehrt natürlich gerade seinen Reiz für die umherschweifenden Großstadtrebellen, die abwegigen Theoretiker, die intellektuellen und weniger intellektuellen Gründer von Geheimzirkeln ausmachte. Wo immer ein „Lebe wild und gefährlich“ an die Häuserwand gesprüht, ein pamphletistischer Artikel erdacht, die ganz andere Kulturzeitschrift gegründet oder eine politische Haltung sich mit „Kunst“ auflud und Aktion wurde, war Guy Debord mit im Spiel. Auch für die taz der siebziger und achtziger Jahre war er ein stiller, aber wirksamer Mentor. Und ohnehin gilt: Wer mit 20 kein Situationist gewesen ist, aus dem wird nie ein guter Journalist.

Die Geschichte beginnt im Paris der fünfziger Jahre: Die Surrealisten waren alt geworden, die Existentialisten en vogue, aber im wesentlichen ein Debattierzirkel, da tauchte eine Gruppe jugendlicher Pöbler und Rauschköpfe im Café Moineau auf, Leute, die sich die Haare färbten, politisch-blasphemische Reden schwangen und das Establishment schockten. „Lettristische Internationale“ nannte die Gruppe sich bald darauf, wenig später kam schon die Umbenennung in „Situationistische Internationale“, was nach Umsturz und praktisch gewendetem Marxismus klang – und impulsiv auch so gemeint war. Die SI war ein Kommandounternehmen gegen jede Form etablierter Kunst, gegen die „Krankheit Gesellschaft“ und deren allgegenwärtiges Symptom: die Langeweile. Filme wurden gedreht, Pamphlete entworfen und an Arbeiter wie Eckensteher verteilt, ganze Städte entworfen. Eine frühe Form der Popkultur entstand aus den Bedeutungsabfällen der bürgerlichen Gesellschaft: Fotoromane, Comic-Collagen, Cut- up-Texte; Asger Jorn, neben Debord das bekannteste Mitglied der Gruppe, erstand Bilder auf dem Flohmarkt, die er anschließend mit heftigen Strichen bearbeitete. Bloß keine Bedeutung sich verfestigen lassen!

Spiel ohne Grenzen

Das prinzipiell Unabgeschlossene, Antikünstlerische, „Situative“ dieser Herangehensweise war nicht das eigentlich Neue an den Aktionen der Situationisten. Schon Walter Benjamin hatte die Zertrümmerung der „Aura“ des Kunstwerks theoretisiert und das Werk der Zukunft als „Dokument, Bluff, Fälschung“ beschrieben; und schon in den Manifesten des Surrealismus ist die Forderung nach einer Kunst, die ihre eigenen Grenzen sprengt, ausformuliert. Doch bei den Situationisten trug dieser antikünstlerische, antibürgerliche, den Konsens mit den herrschenden Zuständen radikal aufkündigende Gestus zum ersten Mal den Keim einer Massenbewegung in sich. Alles andere als zufällig, daß der Situationismus im Pariser Mai 1968 seine späte große Zeit erlebte: „Kunst“ war hier zur kollektiven Regelverletzung geworden – eine direkte Aktion, die den sozialen Raum für sich eroberte.

Mit dem Ende der hochgesteckten Hoffnungen von „68“ kam auch der – offizielle – Abgang der Situationisten. 1971 erschien Debords resümierendes Werk „La societé du spectacle“, 1972 löste die Gruppe sich auf, der Rest ist Geheimgeschichte. Deutliche Spuren von Debords Kritik der spätbürgerlichen Gesellschaft wollten nicht wenige in Jean Baudrillards Begriff der „Simulation“ wiedererkannt haben. Situationistisch inspirierte Theorien des Scheiterns wurden vor allem in Berlin immer wieder gern ersonnen und gelesen, und auch der kleine Nautilus-Verlag verlegte eifrig weiter im Debordschen Sinne. Der Poptheoretiker Greil Marcus versuchte sich in „Lipstick Traces“ (1989) gar an einer Kryptogeschichte des destruktiven, des befreienden Moments, die den Situationismus (nach hinten) mit mittelalterlichen Häretikern und (nach vorne) mit Johnny Rotten und den Sex Pistols zusammendenkt und -zwingt.

Ob Debord sein eigenes Nachwirken noch interessiert hat, ist nicht bekannt. Die letzten zehn Jahre lebte er zurückgezogen in einem kleinen Dorf in der Auvergne. Dort beging er am Mittwoch im Alter von 62 Jahren Selbstmord. Eine Untersuchung, heißt es, sei eingeleitet worden, um die genauen Umstände seines Todes zu ermitteln. Sie werden finden nichts Nennenswertes. Thomas Groß

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