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Vorweihnachtliche Friedlichkeit

■ Selbst nach dem 0:2 in Frankfurt kein Reizklima beim HSV

Unsicher durchmaß Harald Spörls Blick den Frankfurter Abendhimmel nach der 0:2-Niederlage bei der Eintracht: „Heute bin ich vielleicht der Depp. Hätte ich ihn reingemacht, wär's vielleicht anders gelaufen.“ Seine Mannschaftskollegen waren dennoch nicht böse auf „Lumpi“, der den von Ralf Weber an Valdas Ivanauskas verursachten Foulelfmeter nach einer guten Stunde nicht an National-Keeper Andreas Köpke vorbeigebracht hatte. „Ivan“, der selber genau weiß, wie man sich als Loser fühlt, spendete Trost: „Harry ist auch nur ein Mensch.“ Auch Uli Stein haderte nicht mit dem bislang treffsichersten HSV-Mann: „Kann passieren.“ Die Hamburger harmonierten allesamt in vorweihnachtlicher Friedlichkeit.

Alles andere als harmonisch war die Spiel-Vorbereitung des Gegners: Die Star-Kicker Anthony Yeboah, Maurizio Gaudino und „Jay Jay“ Okocha traten nach einem von ihnen als schikanös empfundenen Waldlauf in den Streik – eine in der Fußball-Bundesliga bislang einmalige Aktion. Deren Trainer, Jupp Heynckes, ein großer Lehrmeister deutscher Disziplin, hatte bei seinem Kapitän Yeboah vor Wochen Artikulationsprobleme ausgemacht. Als ob der Ghanaer etwas dafür könne, daß er nicht wie „Osram“ am Niederrhein aufgewachsen ist. Yeboah war verständlicherweise gekränkt, was sich vergangenen Sonnabend als Boykott entlud.

Vermißt wurde das abtrünnige Trio jedoch nicht, stand es doch nicht allzu lange 0:0 vor 28.000 Zuschauern. Gleich der erste Versuch der Hessen, ihren ehemaligen Torwart zu überwinden, war erfolgreich: Ungestüm riß der HSV-Keeper nach 27 Sekunden seinen Intimfeind Jan Furtok von den Beinen. Bodybuilder Thorsten Legat trat an und die Hamburger liefen fortan einem Rückstand hinterher.

Nicht, daß sich die Möhlmänner dabei ungeschickt angestellt hätten: Ein halbes Dutzend bester Möglichkeiten konnten sie vorweisen. Aber wer soll die Tore schiessen? Zumindest wissen sie beim HSV nun, daß ein Fußballspiel eine Anfangs- und eine Endphase hat. Dem Führungstreffer-Duo sei dafür Dank: Legat flankte drei Minuten vor Feierabend auf Furtok, der Rest war ein Kinderspiel.

Von einem „positiven Reizklima“ als Leistungsgrundlage, das Möhlmann zu Saisonbeginn proklamiert hatte, ist bei den Hamburgern derzeit wenig zu spüren: Friedlich und harmonisch rutscht der HSV ab ins Mittelmaß. Möhlmanns Spielanalyse war ebenfalls nicht gerade spritzig: „Seit Wochen kranken wir an mangelnder Chancenauswertung.“ Das wußte man schon. Derweil turnte Thorsten Legat gedankenleer am Gitterzaun und wog als Zeichen des Triumphes seine Hände in gewohnter Manier auf und nieder. Heynckes wird diese Art der Artikulation gefallen haben: stumm, ergeben und ungefährlich. Rainer Schäfer

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