: Eine Rührstory ist wichtiger als die Wahrheit
■ „Bild“ kämpfte mal wieder: mit Verleumdungen gegen einen ausländischen Mitbürger
Die „Bild kämpft für Sie!“-Story paßte so schön ins Klischee vom bösen Ausländer. Am 31. Oktober dieses Jahres erscheint im Hamburg-Teil der Boulevardzeitung mit dem großen Format und dem kleinen Niveau ein reißerischer Bericht über eine angebliche Entführung. „Verzweifelte Mutter sucht ihre Tochter“, erfahren die LeserInnen in dem Bericht mit dem Titel: „Wo ist meine Cornelia?“.
Die Bild-Geschichte: Die heute 26jährige Cornelia A. ist seit vier Jahren angeblich spurlos verschwunden. Nach Auskunft der Mutter Ingeborg O. wurde die junge Frau gegen ihren Willen vom eigenen Ehemann Mohammed A. in dessen pakistanische Heimat entführt. Seitdem gebe es kein Lebenszeichen von der jungen Hamburgerin. Der „Entführer“, so läßt die Springer-Postille Ingeborg O. ungeprüft behaupten, habe „offenbar falsche Papiere“ und zudem nur eine „Scheinehe“ geschlossen, um eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen.
„Die Bild-Zeitung hat die Behauptungen von Frau O. vollkommen ungeprüft abgedruckt, ohne meinen Mandanten, über dessen Anschrift sie verfügte, zumindest ergänzend zu befragen“, klagt Roland Weber, der Anwalt des Beschuldigten.
Von Mohammed A., der zeitweise in Pakistan, zeitweilig in Hamburg lebt, hätte das Boulevardblatt erfahren können, daß Ingeborg O. in dem Zeitraum, in dem sie angeblich kein Lebenszeichen von ihrer Tochter erhielt, sogar schon nach Pakistan gereist ist, um diese zu besuchen. Ihre Adresse ist auch der Mutter seit 1989 bekannt. Zudem liegen nicht weniger als fünf beeidete Erklärungen der angeblich „Verschollenen“ vor, daß sie sich freiwillig in der pakistanischen Stadt Lahore aufhält. Rechtsanwalt Roland Weber: „Auch die Vorwürfe, mein Mandant sei eine Scheinehe eingegangen und habe falsche Ausweise, sind nachweislich aus der Luft gegriffen“.
Kurz nach der Falsch-Veröffentlichung wird es für Mohammed A. unangenehm. Netterweise hat Bild nicht nur den vollen Namen des „Entführers“ genannt, sondern in einem Nachbericht auch noch den genauen Wohnort und die Adresse des Kebab-Restaurants preisgegeben, in dem Mohammed A. als Geschäftsführer arbeitet. Wenige Tage nach den Berichten wird das Schloß seiner Wohnungstür verklebt, die Tür mit Kot beschmiert. Kurz darauf werden auch die Schlösser des Kebab-Restaurants und seines Privatwagens kaputt gemacht. Mohammed A. ist sich sicher, daß diese Feindseligkeiten auf die Bild-Veröffentlichung zurückzuführen sind: „Ich war vorher nie solchen Übergriffen ausgesetzt“.
Die Bild stellte ihre Falschmeldung inzwischen zumindest teilweise richtig – offensichtlich zu spät. Inzwischen hat Mohammed A. seine Schwiegermutter über seinen Anwalt aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet, die falschen Behauptungen nicht mehr zu verbreiten. Das Boulevardblatt wurde inzwischen von Rechtsanwalt Weber aufgefordert, die Mohammed A. entstandenen Schäden zu ersetzen.
Doch selbst ein Griff in die Portokasse des Verlags könnte den immateriellen Schaden für Mohammed A. nicht wieder ausgleichen. Aber schließlich geht es ja „nur“ um Ehre und Sicherheit eines Pakistani. Marco Carini
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