: Der Fluch der Dummheit
Bayer Leverkusen besiegt den 1. FC Köln im rheinischen Derby ein wenig glücklich mit 3:1 / Fehlschaltungen in Kölns Mittelfeld ■ Aus Leverkusen Thomas Lötz
Ulf Kirsten mußte verletzt pausieren, und so stand er die gesamten neunzig Spielminuten lang im Aufgang zur Pressetribüne des Ulrich-Haberland-Stadions Leverkusen. Dabei wich sein Blick kaum einmal vom Spielfeld ab. Hektisch bearbeitete er mit Hilfe seiner Zähne einen Kaugummi und wippte dabei unruhig von einem Fuß auf den anderen. Denn was Ulf Kirsten mitansehen mußte, das machte ihn nervös. „Der FC war über 90 Minuten die bessere Mannschaft“, gestand er nachher, „und wenn ich zugucken muß, bin ich immer aufgeregter, als wenn ich selbst spiele.“
Nicht anders erging es seinem Mitspieler Bernd Schuster, der aufgrund einer Sperre ebenfalls auf der Tribüne Platz nehmen mußte. Allerdings verfolgte er das Spiel nicht stehend, sondern saß gemütlich vor einem Monitor, den ein Fernseh-Privatsender vor ihm aufgebaut hatte. Und während er die ganze Zeit über von einer Kamera beobachtet wurde, ging und litt Bernd Schuster mit. Jubel bei den Toren, aber dann sah er sich auch gezwungen, seine Kollegen anzutreiben: „Komm, Andi, spiel ihn!“ Ein Schlag mit der flachen Hand auf den Tisch, als eine Chance nicht verwertet werden konnte: „Das gibt es doch nicht – meine Güte!“ Und irgendwann entfuhr es ihm dann auch: „Ein Glück, das die so schlecht sind.“
Mit „die“ waren die Kölner gemeint. Und diese Kölner waren eigentlich gar nicht so schlecht. Sie waren vielmehr dumm, und dumme Mannschaften verlieren eben Spiele, in denen sie gut spielen und gleichwertig, wenn nicht besser sind. „Ich kann das nicht mehr hören!“ unterbrach der frustrierte Bodo Illgner die Frage eines Reporters bereits im Ansatz, „wir haben wieder gut gespielt, aber die Punkte, die haben, wie so häufig, die anderen.“ Und wie es den ehemaligen Nationaltorwart nervte, daß ausgerechnet der rheinische Rivale Leverkusen sie eingesackt hatte, danach brauchte man nicht zu fragen, das sah man ihm an. Denn ein Spiel gegen Leverkusen ist halt nicht irgendein Ligaspiel, sondern es ist das Spiel in Köln. Und natürlich auch in Leverkusen.
„Ich freue mich besonders über einen Sieg im Derby“, sagte Dragoslav Stepanovic, „denn da spielen Tabellenplatz, Form und Taktik keine Rolle.“ Blieben also nur noch Glück (Bruno Labbadia trifft nur den Pfosten), religiös-astrologische Begründungen (Horst Heldts Aszendent im Abstieg) oder Erfahrung (Rudi Völlers Hackentrick zum 2:0) als Ursache von Sieg oder Niederlage übrig. Und das ist natürlich Blödsinn, wie sich leicht erklären läßt.
In der 84. Minute (noch stand es 2:1 für Leverkusen) brachte Morten Olsen den jungen Carsten Jancker für Ralf Hauptmann, und auf der Pressetribüne entspann sich folgender, kurzer Dialog. Schuster: „Wer ist das?“ TV-Reporter: „Ein Stürmer.“ Schuster: „Wo soll der denn hingehen?“ Ja, wohin – Schuster hatte es auf den Punkt gebracht. Denn eines der ganz großen Probleme der Kölner lag während des gesamten Spiels (und eigentlich schon in der ganzen bisherigen Spielzeit) nicht im Sturm, sondern im Mittelfeld. Dort schalteten Spieler gar nicht oder zu spät auf Defensive um, dort ließ man Überzahlkonter des Gegners zu, und dort wurden die spielentscheidenden Fehler begangen, die auch die solide spielende Abwehr nicht mehr ausbügeln konnte. „Und dann stehst du da, und die sagen: Der kommt mit dem Völler nicht zurecht“, sagte ein sich vom Mittelfeld verlassen fühlender Pablo Thiam kopfschüttelnd.
Und während er im Gespräch mit der Lokaljournaille die Problematik noch ein bißchen vertiefte, kam ein kleiner Junge mit Leverkusen-Schal auf ihn zu und bat um ein Autogramm. Nachdem er es erhalten hatte, strahlte er, lief zu seinem wartenden Vater und brüllte: „Papa, Papa, ich hab auch ein Autogramm von Toni Polster!“ Ja ja, das Derby...
1. FC Köln: Illgner - Hauptmann (84. Jancker) - Baumann, Thiam - Goldbaek, Steinmann, Janßen, Heldt (46. Rudy), Weiser - Labbadia, Polster
Zuschauer: 27.600; Tore: 1:0 Völler (19.), 1:1 Labbadia (21.), 2:1 Scholz (38.), 3:1 Münch (88.)
Gelb-rote Karte: Baumann (64.) wegen wiederholten Foulspiels
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