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Liebe und Krieg und Mensch und Tier

■ Uraufführung von Ludwig Fels' „Die Hochzeit von Sarajewo“ in Düsseldorf: Eine vorläufige Spielfassung, von der weitere Inszenierungen aber profitieren könnten

Im Golfkrieg waren wir Mitkämpfer wider Willen. Wir ritten als sehende Passagiere auf der Cruise-Missile ins Ziel. Das Fernsehen wurde zur Kriegswaffe. Im Bosnienkrieg sind wir Zuschauer wider Willen. Wir sehen, was wir nicht ertragen können und doch sehen wollen. Das Fernsehen wird zum Komplizen der Untätigkeit.

Ludwig Fels' neues Theaterstück über den Bosnienkrieg ist ein Stück über die Simulation von Realität, nicht über die Wirklichkeit des Krieges. Das kann ihm vorwerfen, wer die Wirklichkeit zu kennen meint. Für uns, die widerwilligen Zuschauer der professionellen Beobachter, ist es angemessen zu bedenken, was wir da tun, wenn wir glotzen.

Alles in diesem Stück ist wahr und falsch zugleich. Ein Fernsehteam engagiert einen ehemaligen Tierwärter des Zoos von Sarajewo, so zu tun, als füttere er den letzten überlebenden Bären des Zoos, der in Wahrheit längst geschlachtet ist. Die Tränen des alten Mannes sind echt, verdanken sich aber einer fiktiven Situation. Das Interesse der Kamera an seinen Gefühlen ist ausbeuterisch, und doch wird die Stadt geschützt durch diese zynische Aufmerksamkeit der Medien.

Der bosnische Fernsehproduzent steigert seine Inszenierungskunst im Interesse der Einschaltquoten weiter: Er überredet mit Geld und Drohungen ein junges Paar, Petar und Hajdi, zur Heirat vor der Fernsehkamera. Diese Heirat ist echt, weil die beiden sich lieben, sie ist falsch, weil sie im Krieg nicht heiraten wollen. Als das Fernsehteam auch noch den Vollzug der Ehe durch Entjungferung filmen will und das Paar sich weigert, wird die Dokumentation zur Aktion, die Berichterstattung zur Vergewaltigung.

Der Fernsehproduzent Amer bezeichnet sich selbst als Enkel Gavrilo Princips, des Attentäters von 1914: Die Kriegsreporter sind die Attentäter von heute. Das Fernsehen beutet die Brutalität unter dem Vorwand der Information und der moralischen Entrüstung zur Unterhaltung aus, ist somit mitschuldig und macht seine Zuschauer zu Gewaltkomplizen.

Auch wenn man die eigene Beobachterrolle mitreflektiert, muß man sich ein Bild von den Opfern machen, von den Menschen in Sarajewo. Das ist, moralisch gesehen, eine Schwäche des Stückes. Seine Figuren sind Projektionen, keine Menschen. Sie lassen sich kaufen, wie es der Plot erfordert, sie erschießen am Ende den Bösewicht, wie es die Moral will.

Projektionen sind Aussagen über die Wirklichkeit, die weniger etwas über die Wirklichkeit als über die Projizierenden aussagen. Das ist, ästhetisch gesehen, eine Stärke des Stückes. Es ist keine schnelle Pflichtübung, sondern die Fortschreibung von Ludwig Fels' Themen und Obsessionen. Wie in seinen bisherigen Stücken geht es um das Tierische im Menschen, um Sexualität und Gewalt. Der Dialog ist oft bis an die Grenze der Verständlichkeit abstrahiert, die Figuren sprechen im brutal-sentimentalen Ton von Fels' Lyrik. Doch finden die plakative Handlung und die auf Verallgemeinerung zielende Sprache nicht zu einer dramaturgischen Einheit zusammen.

Wer die eigene Rolle als Beobachter reflektiert, müßte auch sein eigenes Medium reflektieren. Eine Selbstkritik des Theaters findet sich aber weder im Stück noch in der Inszenierung (wenn man davon absieht, daß der junge Bräutigam Schauspieler werden will und in der Düsseldorfer Inszenierung dementsprechend seine Empörung über den Weltlauf in die Worte König Lears und seine Liebe in die Verse König Salomos faßt). So bleibt es bei der wohlbegründeten, im guten Theater aber auch wohlfeilen Empörung über das böse Fernsehen.

Die Düsseldorfer Uraufführung bietet eine vorläufige Spielfassung des Stückes – das Verdienst der Inszenierung des hier als Regisseur debütierenden Dramaturgen Joachim Lux ist vor allem, in der Auseinandersetzung mit dem Autor ein spielbares Stück erarbeitet zu haben. Die inszenatorischen Zutaten bleiben jedoch dürftig: Die Menschen von Sarajewo brechen durch eine Wand aus Papier auf die Bühne. Ein kleiner Kriegstrommler geistert zwischen den Szenen herum und zieht den auf allen Vieren kriechenden Kriegsberichterstatter hinter sich her. Amer wird dadurch als potentieller Vergewaltiger charakterisiert, daß er Hajdi eine Banane in den Mund stopft. Die knappe, heftige Sprache findet auf der weitgehend offenen, von Florian Etti gestalteten Bühne als optische Entsprechung nur allzu eigensinnige Symbole. Allein der Erzbösewicht, das Medienschwein Amer, flößt Furcht ein: Peter Gavajda spielt einen begnadeten Zyniker, dessen Brutalität ebensosehr aus Selbsthaß wie aus Überlebenswillen kommt. Das junge Paar (Iris Minich und Stefan Kolosko) bringt nur eine schauspielerische Unerfahrenheit mit, die für die Darstellung der gebrochenen Naivität der Figuren nicht ausreicht.

Das Düsseldorfer Schauspielhaus hat sich unter dem Druck der Aktualität eilig für ein unausgegorenes Stück entschieden. Eine zweite Aufführung und der Autor könnten von dieser Vorarbeit profitieren. Gerhard Preußer

Ludwig Fels: „Die Hochzeit von Sarajewo“. Düsseldorfer Schauspielhaus (Kleines Haus). Inszenierung: Joachim Lux. Bühne: Florian Etti. Weitere Vorstellungen: 10., 11. und 22.12.

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