■ Die meisten Deutschen sind notorisch gegen Atomenergie: Geben Sie auf, meine Herren!
Die Deutschen, ein Volk potentieller Anarchisten und Rechtsbrecher? Haben wir übersehen, daß der antiautoritäre Geist hierzulande eine feste Heimstatt gefunden hat? Die jüngsten Umfragen zum Thema Atomenergie scheinen es zu belegen. Seit Jahren kneten die Öffentlichkeitsarbeiter in den Propagandazentralen der Nuklearwirtschaft Volkes Meinung so lange, bis mehrheitlich eine Pro-Atom-Haltung dabei herauskommt. Und nun dies: Eine klare Mehrheit wünscht sich den Ausstieg. Die vorerst gerichtlich gestoppte Castor-Reise von Philippsburg nach Gorleben halten zwei Drittel für ein zu hohes Risiko. Und: Sollte die nächste Gerichtsinstanz den Atommülltransport doch noch zulassen, hoffen die meisten trotzdem weiter auf Widerstand vor Ort.
Die Atomwirtschaft und mit ihr die Bundesregierung wollte endlich den Durchbruch in Gorleben. Das Symbol sollte fallen. Dann, so die Kalkulation, würden sich die Anti-AKW-Aktivisten trollen – und die Sozialdemokraten vom Zwang zur gebetsmühlenartigen Wiederholung ihrer atomkritischen Haltung entlastet. Der Schuß ging nach hinten los. Die Minderheit der „Gesetzesbrecher und Chaoten“, die das Bonner Umweltministerium im Sommer für die unerwartet heftigen Erschütterungen im Wendland verantwortlich machte, kann mit Recht darauf verweisen, daß eine stabile Mehrheit ihre Aktionen goutiert. Was auch immer die Atomwirtschaft unternimmt, sie zementiert stets nur aufs neue die Stimmung gegen die nukleare Stromerzeugung. Dabei gibt es auch deutliche Anzeichen von Überdruß an der festgefahrenen Diskussion. Die Leute erkennen, daß die Atomenergie wie ein mächtiger Bremsklotz jeden Fortschritt in der Energiepolitik blockiert. Längst will eine Mehrheit den allseits beschworenen energiepolitischen Konsens. Aber sie will ihn auf Dauer ohne Atom.
Nach wie vor wollen Siemens und der harte Kern der Stromwirtschaft vor der Jahrtausendwende mit dem Bau eines neuen Atommeilers beginnen. Die Realisten unter den Strommanagern, vornehmlich aus dem Norden der Republik, haben sich davon längst verabschiedet. Wer es nicht fertigbringt, ein paar strahlende Brennelemente mit Zustimmung des Souveräns von A nach B zu schaffen, der sollte die Finger lassen von einem Reaktor, der größer und teurer werden soll als alle zuvor. Schon die Nennung des Standorts löste einen regionalen Volksaufstand aus.
15 Jahre ist es her, daß Ernst Albrecht, damals Ministerpräsident in Niedersachsen, eine Wiederaufarbeitungsanlage Gorleben für „politisch nicht durchsetzbar“ erklärte. Heute wissen wir: Albrechts Einsicht gilt für die Zukunft der Atomenergie in Deutschland insgesamt. Geben Sie auf, meine Herren! Gerd Rosenkranz
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