: SED-Kader sucht SPD-Mief
Der einstige SED-Politbüro-Referent Manfred Uschner bemüht sich seit Sommer vergangenen Jahres um Aufnahme in die Berliner SPD / Widerstand im Osten, Verständnis im Westen ■ Aus Berlin Severin Weiland
Kürzlich wurde Manfred Uschners sozialdemokratische Seele von hoher Stelle getröstet. Er solle, so riet ihm der ehemalige SPD- Bundestagsabgeordnete Hans-Jochen Vogel bei einem Besuch in Berlin, „nicht verbittern“.
Zuspruch hat der 57jährige wohl nötig. Seit über einem Jahr versucht der ehemalige SED-Kader, der SPD beizutreten. Doch sowohl der Ostberliner Ortsverein Alt-Glienicke als auch der Kreisvorstand Treptow lehnten sein Aufnahmegesuch ab. Nun liegt der Fall Uschner bei der Parteispitze. Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung spielt auf Zeit – ein seit Wochen angekündigtes Treffen wurde immer wieder hinausgeschoben.
Der Landesvorstand weiß, welche Emotionen die Aufnahme des heute Parteilosen innerparteilich auslösen wird. Denn bislang setzte sich die Spitze nur in Ausnahmefällen über das Votum der Kreis- und Ortsverbände hinweg. Die Mitbegründerin der DDR-SPD und ehemalige Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe warnte ihre Genossen vor geraumer Zeit: Wer an der Basis vorbei über die Aufnahme ehemaliger SED-Mitglieder entscheide, „riskiert die Gefahr eines Bruchs“.
Rund 2.600 der 24.500 SPD- Mitglieder in Berlin sind im Osten organisiert. Zehn bis fünfzehn Prozent waren nach Schätzungen der Parteizentrale in der SED. Viele von ihnen, meist einfache Parteimitglieder, wurden kurz nach der Wende ohne größere Probleme aufgenommen. Wohlweislich wurde bislang auf generelle Richtlinien verzichtet. Allgemeiner Konsens herrscht nur in einem Punkt: Niemand erhält ein Parteibuch, der mit oder in der Stasi gearbeitet hat oder in sonstigen Funktion in der ehemaligen DDR anderen Personen Schaden zufügte. Doch wie mit Kadern umgehen, die wie Uschner mit aller Macht nach sozialdemokratischem Stallgeruch gieren? Seit Monaten löst der Grenzfall bei der SPD Unbehagen und Kopfzerbrechen aus. Als jüngst der ehemalige Ostexperte Egon Bahr die eigene Partei aufforderte, sich um PDS und Ex- SED-Mitglieder zu bemühen, dürfte er an seinen früheren Verhandlungspartner und Freund Uschner gedacht haben.
Der Ostberliner, dessen Eltern der SPD angehörten, hat jeden Brief in der SED mit sozialistischem und nicht mit dem üblichen kommunistischen Gruß unterschrieben. Darauf ist er stolz. Als er im Frühjahr 1989 als Referent des Politbüromitglieds Hermann Axen wegen „Sozialdemokratismus“ in Ungnade fiel, schob ihn die Partei auf einen anderen Posten ab: an das Zentralinstitut für Philososphie an der Akademie der Wissenschaften. Knapp ein Jahr darauf verließ Uschner die damalige SED/PDS. „Ich bin ein linker Sozialdemokrat, der sich, wie im Grundsatzprogramm der Partei formuliert, den Idealen eines demokratischen Sozialismus verpflichtet fühlt“, betont er.
Wo er selbst Brüche in seiner Biographie ortet, sehen Ost-SPD- Mitglieder wie Barbe nur die Fortsetzung einer Karriere unter anderen Vorzeichen. „Uschner war 1989 doch nicht arbeitslos, sondern wurde nur mit einem anderen Posten abgefunden.“
Mißtrauisch beäugt die 42jährige den „Kautsky-Bernstein- Kreis“, dessen Geschäftsführer Uschner ist. Der 1990 gegründete Verein agiert als Vermittler zwischen ehemaligen SED-Mitgliedern und Sozialdemokraten. Der Vorstandsvorsitzende des 500 Mitglieder starken Vereins ist der Ostberliner Bezirksstadtrat Dankward Brinksmeier (SPD).
Der Verein, so Barbe, verwässere die Abgrenzung gegenüber der PDS. Damit werde die Glaubwürdigkeit der Ost-SPD in Frage gestellt. Tatsache sei doch, daß die ostdeutsche Sozialdemokratie 1989 eine „unabhängige und moralisch integre Neugründung von Oppositionellen war“.
„Die Altkader stehn doch nicht bei uns Schlange“
Auf solche Vorwürfe reagiert Uschner regelmäßig mit spitzen Bemerkungen. Der Partei drohe ein ähnliches Schicksal wie Bündnis 90/ Die Grünen, wenn sie sich nicht öffne. Sollten „rechtsgläubige Fundis“ wie Barbe den Ton weiter angeben, werde die SPD im Osten auf lange Sicht zu einer „Sekte verkommen“. Barbe dagegen sieht in der Aufnahme von Uschner ein Signal, die „Türen für die alte Nomenklatur zu öffnen“. Solche Schreckensbilder hält Uschner für übertrieben: „Wenn ich eintrete, folgen mir höchstens drei Dutzend ehemaliger SED- Funktionäre“.
Die Atmosphäre zwischen dem ehemaligen SED-Funktionär und Teilen der Ost-SPD entlädt sich von Zeit zu Zeit in öffentlichen Polemiken. Die Basis hingegen schlägt sich mit ganz anderen Sorgen herum. „Es ist doch nicht so, daß die Altkader vor unserer Tür Schlange stehen“, meint der Kreisvorsitzende des Ostberliner Bezirks Hohenschönhausen, Jacek Gredka. Sein Ortsverein kämpfe mit der Übermacht der PDS.
Die Diskussionen um Uschner, so meint auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Abgeordnetenhaus-Fraktion, Helmut Fechner, „hat unmittelbar mit seiner Person zu tun“. Der Ostberliner gehört zu jenen, die mit leisen und nachdenklichen Tönen über ehemalige SED-Kader sprechen. Er bemüht sich um einen Interessensausgleich. Früheren Kadern rät er: „Sie sollten als Akt der Hygiene von selbst aus sagen: Ich will mich politisch engagieren, aber es muß ja nicht in einer Partei sein.“
Ein Ratschlag, den Uschner schon häufiger gehört hat. Aber dem umtriebigen Mann reicht die passive Mitarbeit nicht aus. Wie soll es auch anders sein, wenn seine Anwesenheit in den Hinterstuben der Berliner SPD schon seit längerem geduldet, ja sogar erwünscht wird. Mehrmals hat er in den vergangenen Monaten am sogenannten Donnerstagskreis der SPD- Linken teilgenommen und war bei den letzten Landesparteitagen stets zugegen. In Westberliner Ortsvereinen findet er viel Verständnis. Dort habe nie jener „inquisitorische Tonfall“ geherrscht, wie im Kreisverband Treptow.
Im Sommer dieses Jahres bot ihm der Kreuzberger Kreisvorsitzende Horst Detert die Aufnahme in seinem Verband an. Der Axen- Referent habe ja schon zu DDR- Zeiten bei den Verhandlungen über das SPD/SED-Papier „nicht unmaßgebliche sozialdemokratische Positionen vertreten“. Wenige Wochen später legte Detert sein Amt wegen mutmaßlicher Kontakte mit jener Instanz nieder, die sich einst als „Schild und Schwert“ der SED bezeichnete – der Stasi.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen