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Kienäppel in Zauberlaube

■ Ausstellung von Gabriele-Peters-Preisträgerin Lili Fischer

Phantome haben ein wesentlich längeres Leben als die meisten Realien. Das oft als prosaisch bekrittelte Hamburg hütet in seinen Sammlungen etwa ganz unvermutet seit 1684 ein doppeltes Horn vom Einhorn. Dieses mit Wunderkräften behaftete Zeugnis eines nichtexistenten Tieres war einst so berühmt, daß Napoleon es auf die Liste der in den Louvre zu verbringenden Dinge gesetzt hatte.

Doch die biologische Rarität konnte nicht nur vorm damaligen Feind bewahrt werden, es wurde auch als einziges Exponat des alten Naturhistorischen Museums am Steintorwall 1943 vor den Bomben gerettet und ziert jetzt die Biologische Schausammlung der Hamburger Universität: ganz unromantisch als Zahn des arktischen Nerwals erläutert.

Geschichten wie diese haben die Hamburger Biologie-Professorin Gabriele Peters immer fasziniert. Ihr Forschungsthema war umweltbedingter Stress und Tumore bei Fischen, hierzu legte sie mehr als 60 Fachpublikationen vor. Dazu veröffentlichte die international anerkannte Forscherin auch gerne Populäres: ein Kinderbuch über den Aal, Schriften über die Totemtiere der Indianer Nordwest-Kanadas und vor allem beschäftigte sie sich immer wieder mit dem Einhorn.

Ihr Interesse an den Grenzbereichen der exakten Naturlehre führte sie 1986 zur Gründung der Reihe „Phantastische Wissenschaft“ im Rahmen des allgemeinen Vorlesungswesens der Universität. 1992 starb sie an einem Gehirntumor. Testamentarisch stiftete sie den mit zehntausend Mark dotierten, zweijährlich zu vergebenden „Gabriele-Peters-Preis für phantastische Wissenschaft“, dessen erste Trägerin nun die Hamburgerin Lili Fischer ist. Die Künstlerin ist selbst promovierte Ethnologin, ist aber bekannter als Performerin mit der Energie einer neuzeitlichen Hexe.

Lili Fischer nutzt die spezielle Ausstellungsästhetik des biologischen Museums für die Präsentation eines kleinen Werküberblicks. So kommen ihre Kunstforschungen in die direkte Nachbarschaft des Einhorns, von Schädeln, Lurchen in Spiritus, Vögeln in Kästen und Gorillas in Vitrinen. Als Dokumentation ihrer furiosen Aktionen ist eine Auswahl der Foto-Textblätter ihrer Feldforschungskartei ausgestellt: Feinnervige Zeichnungen zu Prielen und Mooren, individuelle Herbarien und Objekte sind in Glasvitrinen arrangiert. Einer dieser Schaukästen scheint seit längerem „in Arbeit“: er enthält nichts als zahlreiche Spinnweben.

Ansonsten sind das Stehpult aus der „Gewürzpredigt für Pfeffersäcke“ zu sehen, ein Heringsschwarm aus Fischereiutensilien, ein „Federzug nach Gänseart“ aus Stahlfedern, die „Kienäppelkiepe aus der Wanderpredigt“, ein Hund aus Staub und große Teile der Kraut-und Zauberlaube. Lili Fischer lädt zu sensibel-ironischen Grenzgängen zwischen Wunderkammer und Wahrnehmungsschulung und zwar solange, bis niemand mehr weiß, ob die Kunst der Wissenschaft dient oder umgekehrt oder ob nicht überhaupt jedes Tier, jedes Ding und jeder Gedanke ein subjektiv präpariertes Konstrukt ist.

Hajo Schiff

Zoologisches Museum, Martin-Luther-King-Platz 3, Di-Fr 9-18, Sa+So 10-17 Uhr, Sonderausstellung noch bis Mitte Januar, Eintritt frei, Bücher und Kataloge von Lili Fischer sind im Museumsshop erhältlich

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