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Deus machinae

Zwei SPD-PolitikerInnen und ein dickes Buch heizen die Diskussion um die Medienmacht des Leo Kirch (hoffentlich) noch einmal an  ■ Von Michael Rediske

Lange, allzu lange hat die SPD ihre Politik gegenüber dem Privatfernsehen an der Devise ausgerichtet: Leo Kirch ist ohnehin nicht zu stoppen, beschränken wir uns also darauf, mit Bertelsmann und RTL ein Gegengewicht hochzupäppeln. Zwei „Sendefamilien gleich welcher Größe“ wünscht sich Johannes Rau. Das klingt gut, klingt wie der alte SPD-Traum vom Zweiparteiensystem. Was Brandts Troika seinerzeit das Mehrheitswahlrecht war, ist heute den Managern in den SPD-Staatskanzleien ein „liberalerer“ Rundfunkstaatsvertrag der Länder. Einer, der Wirtschaftsansiedlung vor Konzentrationsverbote setzt. Der die Medienexpansion am Bertelsmann-Standort Nordrhein-Westfalen nicht behindert – und dafür im Gegenzug das schwarze Imperium im Münchner Vorort Unterföhring gewähren läßt.

Spät, aber vielleicht noch nicht zu spät haben einige Genossen – und eine Genossin – erkannt, daß sie (und die demokratische Öffentlichkeit) dabei nur verlieren können. Als in den letzten Wochen der Chor derer immer lauter wurde, die den Rundfunkstaatsvertrag in einer großen Koalition zwischen den Staatskanzleien in Düsseldorf und München zugunsten ihrer Protegés Bertelsmann und Kirch auskungeln wollten, haben sich nun doch zwei dissonante Stimmen zu Wort gemeldet. Sie kommen zwar nicht gerade aus der Riege der SPD-Vorsänger, könnten aber das Ohr der Öffentlichkeit noch einmal auf jenes Medienkonglomerat lenken, von dem niemand weiß, ob es wirklich Leo Kirch gehört. Oder vielleicht doch eher dem Metro- Kaufhof-Vobis-Eigner Otto Beisheim, dessen Firmen kurz vor der Bundestagswahl in einer riesigen Zeitungskampagne für Helmut Kohl warben?

Es sind dies Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig- Holstein, und Jürgen Büssow, medienpolitischer Sprecher der SPD- Fraktion in NRW, die derzeit nicht weniger, sondern mehr und striktere Konzentrationskontrolle fordern. Warum ihre Bemühungen spät kommen (aber vielleicht doch noch nicht zu spät), zeigt der Journalist Michael Radtke in seinem gerade erschienenen 400-Seiten- Buch „Die Medienmacht des Leo Kirch“ akribisch auf.

Auch wenn der Titel daherkommt wie eine soziologische Abhandlung, ist das Opus des Autors, der schon seit den Siebzigern den „Medienmogul“ begleitet, doch geschrieben wie ein Wirtschaftskrimi. Zuweilen etwas aufgemotzt mit dem, was man eine „kalt“ geschriebene Reportage nennt, und so wird der Krimifreund oft enttäuscht, wenn Radtkes Treffen mit geheimnisvollen Informanten im Nichts enden. Aber auch das ist Teil der Kirch-Saga: Es gibt keine Kronzeugen. Denn alle wissen viel über Kirch, aber niemand traut sich, mit seinem Namen dafür geradezustehen. So muß Radtke, nachdem er Indiz um Indiz, Dokument um Dokument für seine These zusammengetragen hat, daß Leo Kirch allen Dementis zum Trotz doch hinter Pro7 steckt, diese Annahme doch wieder mit der Bemerkung versehen: „Dieses ist keine Tatsachenbehauptung.“ Juristische Vorsicht gegenüber einem Mann, der in dreißig Jahren fast alle Justitiare und Medienkontrolleure aufs Kreuz gelegt hat.

Auch Radtkes Buch kann also nicht ultimativ beweisen, daß aus der Kirch-Zentrale fünf Fernsehsender gesteuert werden; um diese lang gehegte Vermutung zu verifizieren, bräuchte es eben das, was Simonis, Büssow und andere fordern: wesentlich mehr Untersuchungskompetenzen gegenüber den Fernsehveranstaltern.

Aber auf den 400 Seiten, beginnend mit dem ersten Filmkauf („Casablanca“) des Weinbauernsohns Ende der Fünfziger, erfahren wir immerhin, wie das Spiel um die Medienmilliarden gewonnen wird: wie ARD und ZDF mit Kirchs aus wenigen Spitzenfilmen und viel Ramsch geschnürten Filmpaketen zwischen 1965 und 1975 immer wieder aufs Kreuz gelegt werden und so Kirchs Aufstieg finanzieren; wie Treuhand-Konstruktionen das wirkliche Ausmaß des Kirch-Imperiums immer wieder verschleiern; wie scheinbar durch Zauberhand aus dem Konkurrenz-Sender Tele5 ein weiterer Sender in Kirchs Einflußbereich wird, und zwar als Deutsches Sportfernsehen mit einem völlig neuen Programm, ohne daß die Lizenz dabei verlorengeht; wie 1989 der Pro7-Verwaltungsdirektor an Eides Statt erklärt, wieviel Prozent Leo Kirch unerlaubterweise an Pro7 hält und wie die Erklärung nach dreiwöchiger „Bedenkzeit“ widerrufen wird (das Wort Bestechung fällt in keinem Moment). Und schließlich das Meisterstück: wie er de facto den maroden Axel- Springer-Verlag übernimmt.

Leider fehlt Radtkes Buch das für Nicht-Krimileser so wichtige Personenregister. Dennoch sollte es diejenigen stimulieren können, die noch nicht, wie Peter Glotz und andere, den deutschen Medienmarkt aus Angst vor den US-Multis Bertelsmann und Kirch überlassen wollen.

Michael Radtke: „Außer Kontrolle. Die Medienmacht des Leo Kirch“. Edition Hans Erpf (Bern/ München, 48 DM.

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