: "Das ist doch bei jedem Gipfel so"
■ Die Sphinx von Paris fragte, "ob wir diese KSZE brauchen", Jelzin wurde dramatisch, zu Bosnien gab es keine Einigkeit, um die Schlußerklärung wurde "zäh gerungen" - aber die Deutschen verlassen den...
Die Sphinx von Paris fragte, „ob wir diese KSZE brauchen“, Jelzin wurde dramatisch, zu Bosnien gab es keine Einigkeit, um die Schlußerklärung wurde „zäh gerungen“ – aber die Deutschen verlassen den Budapester KSZE-Gipfel mit Optimismus
„Das ist doch bei jedem Gipfel so“
„Wir müssen uns ernsthaft die Frage stellen, ob wir diese KSZE tatsächlich brauchen. Vor mir liegt, wie bei allen anderen Rednern auch, ein diplomatischer Text, der auch auf diese Frage eingeht. Ich habe mich entschlossen, diesen Text nicht vorzulesen.“ Im nur noch spärlich gefüllten riesigen Kinosaal, wo die Plenarsitzungen der Budapester KSZE-Tagung für die Presse übertragen werden, wird es plötzlich wieder lebendig. Nach einer schier endlosen Reihe ermüdender Reden, in denen es ein Staatschef nach dem anderen (unter den 51 in Budapest vertretenen Regierungschefs gibt es nur drei Frauen) vor allem darauf anlegte, jedes Überraschungsmoment zu vermeiden, schickte sich nun Frankreichs scheidender Präsident François Mitterrand an, einen seiner letzten internationalen Auftritte angemessen zu inszenieren.
Was folgte, war weniger eine Rede an ein bestimmtes Publikum, als vielmehr eine Art Selbstgespräch vor laufenden Mikrofonen. Man könne ja verstehen, daß die Russen Angst vor einer Erweiterung der Nato in Richtung Osten haben, allerdings sei der Einkreisungs- und Isolationskomplex ja eine alte Konstante russischer Politik. Warnt Mitterrand damit vor einer Verlagerung der Nato-Grenze in Richtung Rußland, schert Frankreich aus dem westlichen Argumentationsmuster aus? Mitterrand legt sich nicht fest, sinniert auch über die berechtigten Interessen der osteuropäischen Reformstaaten, die eben einer erneuten russischen Hegemonie in jedem Fall vorbeugen wollen. „Müssen sie das nicht auch tun, nach den Erfahrungen dieses Jahrhunderts?“ Die Sphinx von Paris will auch zur Zukunft der KSZE keine abschließende Meinung äußern. „Wir treffen uns ja in so vielen Gremien, aber sicher, es ist immer nützlich, miteinander zu reden.“
Andere wollen dagegen erheblich mehr von der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa als nur miteinander reden. Rußlands Präsident Jelzin zum Beispiel will die KSZE beim Wort nehmen und aus den bislang losen Abfolgen von Konferenzen eine Gesamteuropäische (plus USA und Kanada) Organisation machen, die tatsächlich für Sicherheit auf dem Kontinent sorgt. In seiner Rede unmittelbar nach US-Präsident Clinton gleich zum Auftakt des Treffens in Budapest hielt sich Jelzin nicht lange mit diplomatischen Floskeln auf. Für zusätzliche Dramatisierung sorgte die Simultanübersetzerin. Aus einem Satz, in dem Jelzin die Nato-Staaten beschwor, die Demokratie in Rußland nicht vorzeitig zu beerdigen, machte sie die Drohung, eine Nato-Erweiterung nach Osten werde die Beerdigung der Demokratie in Rußland zur Konsequenz haben. Doch selbst nach Bereinigung des Mißverständnisses konnte man Jelzins Auftritt durchaus noch als Kampfansage interpretieren. „Alles halb so wild“, versuchten Mitglieder der deutschen Delegation die Gemüter in Budapest zu beruhigen, „das war doch wirklich eine sehr ausgewogene Rede.“
Überhaupt kaprizieren sich die Deutschen in Budapest auf die Rolle, Öl auf alle Wogen zu gießen. Am Montagnachmittag wurde bereits gestreut, bei den wichtigsten Streitfragen zeichne sich eine Lösung ab. Gestern nachmittag war dann klar, daß sich die Konferenz auf keine gemeinsame Erklärung zu Bosnien einigen konnte.
Auch die anderen Verhandlungen waren zäh. Kohl, der in Budapest zusammen mit Delors auch die EU repräsentiert, hat im Namen der Europäischen Union einen Vorschlag eingebracht, der unter anderem vorsieht, die Institutionen der KSZE zu verstärken und dem Generalsekretär größere Kompetenzen einzuräumen. Damit soll geregelt werden, daß bei allen zwischenstaatlichen und ethnischen Konflikten in Europa die KSZE zur ersten Schlichtungsinstanz wird. „Wir haben fast alle Delegationen von der Parole ,KSZE First‘ überzeugen können“, frohlockte gestern früh ein deutsches Delegationsmitglied, mußte dann allerdings gleich auch wieder einräumen, daß die Verankerung dieses Vorhabens in der Schlußerklärung des Gipfels noch völlig unklar sei.
Entscheidend für die Zukunft der KSZE wird aber nicht so sehr sein, welche Formulierung wo durchgesetzt wird, sondern was die Organisation praktisch leisten kann. Die Probe aufs Exempel soll im Kaukasus stattfinden, weshalb der in Westeuropa seit langem verdrängte Krieg um die Armenische Exklave in Aserbaidschan, Nagorny Karabach, plötzlich in aller Munde ist. Wird die KSZE sich darauf verständigen, eine multinationale Truppe zur Überwachung des Waffenstillstands nach Aserbaidschan zu schicken? Werden die Russen zustimmen, daß eine internationale Truppe in ihrem Hinterhof auftaucht? Und wird es der KSZE – der künftigen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) – tatsächlich gelingen, Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan zu vermitteln und sich damit Autorität zu verschaffen? Auch hier sind die Deutschen optimistisch. Vorausgesetzt, die Konfliktparteien einigen sich auf eine politische Lösungsperspektive, wird es auch eine KSZE-Friedenstruppe geben, heißt es. Sind die Deutschen denn auch bereit, eigene Truppen für eine solche Mission zur Verfügung zu stellen?
Während zu Hause in Bonn der Generalinspekteur der Bundeswehr einer Entsendung deutscher Soldaten in den Kaukasus bereits eine Absage erteilt, wackeln die Außenpolitiker in Budapest mit dem Kopf. Intern hofft Kinkel auf Unterstützung durch Kohl. So wie Kinkels Beamte sich im Vorfeld des Gipfels für einen Karabach- Einsatz unter KSZE-Führung stark gemacht haben, wäre es jetzt eine Blamage, wenn sie einen Rückzieher machen müßten. Gestern trafen sich Kohl und Jelzin, um unter anderem über Karabach zu reden. Offiziell hat Rußland einem KSZE-Einsatz zugestimmt – aber nur, wenn er so effektiv durchgeführt wird wie bislang die russischen Missionen. Eine Formulierung, die alles offen läßt und vor allem in Aserbaidschan, das die Russen beschuldigt, auf Seiten Armeniens in den Krieg eingegriffen zu haben, auf Mißtrauen stößt. So wäre denn die erste Aufgabe der KSZE, in Karabach Mißtrauen abzubauen.
Während im Plenarsaal im Budapester Novo-Hotel die Vertreter des Vatikans und die Regierungschefin von Island zu ihren Erklärungen ausholen, wird eine Stunde vor Schluß des Gipfels hinter verschlossenen Türen immer noch um die Schlußerklärung gestritten. „Das ist doch bei jedem Gipfel so“, erklärt prompt ein Mitglied der Deutschen. Jürgen Gottschlich, Budapest
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