Nirgendwo findet Umberto Liebe

■ Rainer Simons „Fernes Land – Pa-isch“ geriet arg melodramatisch

Genres können einengen und zu Sackgassen werden. Um diese Gefahr weiß auch Rainer Simon. Und weil der ehemalige Defa-Regisseur sich nicht festnageln lassen will, hat der 53jährige seinen Spielfilm Fernes Land Pa-isch genreübergreifend konzipiert. Doch was gewinnt Simon dadurch, daß er einen Jugendfilm mit einem Road-Movie kreuzt?; daß er den Ossi-Wessi-Konflikt auf der persönlichen Ebene verortet: weniger als politisches denn als soziales Problem? In der von der Hamburger Filmförderung mitfinanzierten 3,5-Millionen-Mark-Produktion laviert sich Simon meist an der Mischmaschklippe vorbei, touchiert sie aber auch manchmal und gerät dann gewaltig ins Straucheln.

Wie seine Hauptfigur Umberto Medock (überzeugend: Jens Schumann, der selber jahrelang in einem Heim lebte). Der 16jährige fällt zwar nicht, doch sein Wanken ist ein dauerhaftes. Umbertos Alltag ist ein permanenter GAU – emotional und überhaupt. Die Mutter Ilona (Renate Krößner) säuft und hurt, der Vater ist irgendwann abgehauen, genauso wie der Erzeuger seiner fünf Jahre alten farbigen Halbschwester Bianca (Macca Malik). Auch der Umzug von einer sächsischen Kleinstadt nach Hamburg kann die Trostlosigkeit nicht beseitigen – es wird eher noch schlimmer. Die Mutter erkrankt schwer, und Umberto verliebt sich unglücklich in die farbige Prostituierte Tschibo (Yvette Dankou). Überall findet Umberto keine Liebe, erst recht nicht bei Tschibos Mutter (Domenica), sondern nur schnellen Sex. Worst case immerzu.

Zusammen mit Bianca – seine einzige Beziehung, die auf gegenseitiger Zuneigung beruht – haut er auf einem gestohlenen Motorrad ab. Sein Ziel ist Pa-isch, ein Ort irgendwo in Afrika, dort wohin Biancas Vater schon vor Jahren zurücckehrte. Ein Traum, eine Illusion – Pa-isch ist alles, was Umberto nicht hat und sich so sehnlichst wünscht. Doch der Weg ist weit, und als Orientierungshilfe muß ein altes Foto vom afrikanischen Papa reichen. Die beiden kommen nicht recht voran und stranden in Berlin in einer Art Endzeit-Kommune.

So weit, so schlecht für den jugendlich Unverstandenen. Zu schlecht? Der Film aus dem Studio Babelsberg mutet einem eine solche Menge zu, daß man manchmal der Probleme überdrüssig wird. Zuviel an Melodramatik (fehlte eigentlich nur, daß Umberto von einem HIV-positiven Kühlschrankschmuggler aus Polen geschwängert wird), manchmal arg sozialkitschig: Wäre nicht – vor allem am Ende – weniger Konflikt mehr Differenziertheit gewesen? So vieles verschwimmt und bleibt undeutlich, weil überladen. Es war wohl doch nicht eine so gute Idee, die Intentionen von Hark Bohms Nordsee ist Mordsee mit Wir können auch anders von Detlev Buck (der in Pa-isch einen Kurzauftritt hat) zusammenbringen zu wollen. Insofern ist der Film leider eine vertane Chance.

Clemens Gerlach

„Fernes Land – Pa-isch“ hat am Sonntag um 12 Uhr im Zeise-Kino Premiere. Der Regisseur und einige Darsteller (unter anderen Domenica) werden anwesend sein.