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Denkmal einer großen Liebe

■ Vor Lebenslust und -kraft strotzend: Das Prazak-Quartett interpretierte Alban Bergs „Lyrische Suite“ in der Glocke

Alban Berg, gepackt vom Fieber seiner Beziehung zu seiner fernen Geliebten, Franz Werfels Schwester Hanna Fuchs-Robettin, spann in seine „Lyrische Suite“ für Streichquartett eine tonsymbolisch durchsetzte Zwölftonreihe ein. Das geheime Liebesprogramm des 1925 entstandenen Werkes wurde erst 1968 gefunden. Berg selbst meinte, der persönliche Bezug und Inhalt dieses „Denkmals einer großen Liebe“ ginge niemand etwas an. Der französische Komponist Pierre Boulez stufte die Lyrische Suite als „eins der größten Meisterwerke der Musikliteratur“ ein und Adorno nannte das Werk eine „latente Oper“. Daß beide Komponenten durchaus hörbar sind, ist dem hervorragenden Prazak-Quartett aus der Tschechoslowakei zu verdanken, das jetzt das dritte Philharmonische Kammerkonzert im kleinen Glockensaal gestaltete.

Vaclav Remes, Vlastmil Holek, Josef Kluson und Michael Kanka ließen das Publikum Quartettkunst auf höchstem Niveau erleben: so die ungemein subtile Verzahnung der Themen, das Ineinandergehen freier Teile mit den strengen Reihensätzen, der Charakterwechsel und die gleichzeitige Einheit von Scherzo, Lied und Rhapsodie, die für diese Zeit unerhörte Klanglichkeit des Tenebroso und nicht zuletzt die zwingende, dramatisch erregende Verwirklichung der gegenläufigen Kreuzung der Tempi: Allegro-Allegretto-Presto und Andante-Adagio, Largo. Das Ersterben der Bratsche ließ den Atem stillstehen, Berg meinte „das immer schwächere, immer langsamere Schlagen eines gebrochenen Herzens“. Keinerlei Sentimentalität prägte die Wiedergabe, sondern in Ausdruck überführte, perfekte Textgenauigkeit.

Das vor Lebenskraft und –lust nur so strotzende Streichquintett Es-Dur op. 97 von Anton Dvorak aus seiner Amerika-Zeit war ein gut ausgesuchter Kontrast, den der Bratschist Rainer Kimstedt mit einfühlsamem Klangvolumen gut ergänzte. Daß Interpretationen neben aller technischen Bewältigung immer auch mit so einer Art „Seelenverwandschaft“ mit dem Komponisten zu tun haben, wurde deutlich an der relativ verständnislosen Wiedergabe des Quartettes op. 76,3 von Josef Haydn, dem sogenannten „Kaiser-Quartett“, weil es die gleichnamige Hymne enthält. Das klang alles aufgesetzt und dick, Spritzigkeit und Logik des instrumentalen Diskurses wurden allzusehr verdeckt. Das war etwas schade, schmälert aber insgesamt nicht die große Leistung der Berg-Wiedergabe. Ute Schalz-Laurenze

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