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Mörder ohne Markenzeichen

■ Bleibt ein Aufklärer: Edward Bonds Comeback auf deutschen Bühnen

Er lächelt, spricht konzentriert, überhört Zwischenfragen – oder will sie nicht hören. Wie ist das denn mit der Selbstverantwortlichkeit der Figuren in seinen neuen Stücken? Edward Bond erklärt kurz und eher widerwillig, die weltumspannende Ideologie sei inzwischen Geldverdienen und Konsum, auf der anderen Seite der Medaille stünden Panik und Terror.

60 ist er im Sommer geworden. Sein Gesicht ist inzwischen schmaler und strenger. Ein größerer Kontrast ist kaum denkbar. Hier der Dramatiker in einem kahlen Nebenraum des Berliner Ensembles, wo in wenigen Minuten sein Stück „Ollys Gefängnis“ zur deutschen Erstaufführung kommen soll [die Premiere fand im Oktober statt, Anm. d.Red.], dort die Figuren seiner neuesten Stücke; hier der Spartanische, Unnahbare, Konzentrierte, dort ein kalkulierbarer Youngster wie zum Beispiel Leonard aus der „Männergesellschaft“, ein Endspiel der freien Marktwirtschaft.

Leonard will seinen Ziehvater ausbooten, einen Wirtschaftsmagnaten der Rüstungsindustrie. Die marktwirtschaftliche Logik „Friß die Konkurrenz, bevor sie dich frißt“ hat er zwar kapiert, beherrscht sie aber nicht und ist am Ende selbst der Gefressene; er erhängt sich. Von innen zerfressen – so wie marktwirtschaftliche Demokratien sich von innen heraus zerstören. Behauptet Bond.

Und erläutert zurückhaltend und mit – very british – ironischem Lächeln: „Ein amerikanisches Kind hat bis zum sechzehnten Lebensjahr ungefähr 16.000 Morde im Fernsehen gesehen. Das ist sein Bild einer funktionierenden Gesellschaft. Wenn es sich also aggressiv und gewalttätig verhält, verhält es sich sozial, da es keine andere Vorstellung von sozialem Verhalten hat. Gewalt ist in westlichen Gesellschaften nichts Antisoziales, Gewalt ist soziales Verhalten.“

Bond steht mit dieser Einschätzung nicht allein. Auch Reza Abdoh, der seit einiger Zeit mit brutalem Körpertheater für Aufsehen sorgt, argumentiert in diese Richtung: „Philosophisch interessiert mich zum Beispiel die merkwürdige Schizophrenie in der moralischen Beurteilung von Gewalt und Zerstörung. Beide sind mit dem Schild ,Tabu‘ versehen. Das ist aber total unglaubwürdig, da der ganze Fortschritt unserer Kultur auf Gewalt und Zerstörung basiert“, meinte er kürzlich in einem Interview. Ein Satz, der von Edward Bond stammen könnte, dessen Figuren keine psychologischen oder soziologischen Begründungen mehr brauchen.

Sie sind Medien frei flottierender Gewaltströme, ihnen fehlt, was zu Shakespeares Zeiten noch Markenzeichen des Mörders war: die allmähliche Verfertigung des Mordens bei seiner Ausführung, das allmähliche Wachsen der Lust an der Macht bei der Machtausübung. Wenn Bonds Verlorene, Verwirrte zuschlagen, geschieht es aus heiterem Himmel. Damit allerdings haben die Theater Probleme, wovon man sich just bei der Premiere von „Ollys Gefängnis“ überzeugen konnte. Die Inszenierung Peter Palitzschs müht sich (wie schon die Uraufführung beim Festival in Avignon) um eine allmähliche Entwicklung hin zur Mordtat, als gelte, es die Achterbahnfahrt eines Macbeth zwischen Machtlüsternheit und Skrupel, Unsicherheit und hochfahrender Selbstüberschätzung, Wahn und Angst auf die Bühne zu bringen. Die Tat bleibt dann allerdings eine rein klinische Angelegenheit, und gegen Ende, wenn ein durchgedrehter Polizist einen Mann zusammenschlägt und ein Zimmer zerlegt, gerät das Theater in Regionen komischer Filmstunts. Palitzsch traut den eigenen ästhetischen Mitteln nicht. Er setzt Gewaltszenen nicht durch pure körperliche Präsenz um, wie etwa Peter Stein in den achtziger Jahren, als er Nigel Williams' „Klassenfeind“ an der Schaubühne inszenierte und eine Schülergang auf die Bühne brachte, die solche Schubwirkungen erzeugte, daß man befürchten mußte, die Gewalttätigkeit pflanze sich in den Zuschauerraum fort. Verständlich, daß Bond dem Theater mißtraut. In England gibt er seine Stücke nicht für alle Bühnen frei, schon gar nicht für die großen wie die Royal Shakespeare Company oder das National Theatre. Beliebt hat sich der bekennende Sozialist mit seiner Kompromißlosigkeit jedenfalls nicht gemacht – obwohl er mit Stücken wie „Gerettet“ und der Neuinterpretation von Shakespeares „Lear“ in den siebziger Jahren auch ein vielgespielter Autor an deutschen Bühnen war und die Liste der Erstaufführungsregisseure, von Stein, Zadek, Peymann bis Bondy, sich wie ein Who's Who der Erneuerer aus der Aufbruchphase des deutschen Theaters liest. Doch die erstklassige Regiegarde konnte nicht verhindern, daß er mißtrauisch beäugt wurde. Weil es in „Gerettet“ zu einem Babymord auf offener Bühne kommt, trat bei der Londoner Uraufführung (1970) der Zensor auf den Plan, und als etwas später sein „Lear“ in Frankfurt zur deutschen Erstaufführung kam, war die Verwirrung so perfekt, daß sogar die auf keinen Fall linksverdächtige Lyrikerin Hilde Domin den Drang verspürte, in den Frankfurter Heften als Bond-Verteidigerin aufzutreten.

Was man schon damals nicht zur Kenntnis nehmen wollte: Durch seine Umdeutung des „Lear“, in dem die jüngste Lear-Tochter Cordelia einen Aufstand der kleinen Leute anführt, die in der Folge selbst zu grausamen Diktatoren werden, kritisierte Bond schon sehr früh ideologische Heilsversprechungen. „In den kommunistischen Systemen hat man nicht begriffen, daß jede Politik durch das Individuum geht und die Zukunft nicht als utopische Konstruktion gestaltet werden kann“, sagt er, und seine Stimme wird nun doch etwas lauter. Es scheint ihn zu stören, in die linksdogmatische Ecke gestellt zu werden, wie es C. Bernd Sucher von der Süddeutschen Zeitung in seiner Besprechung von „Ollys Gefängnis“ am Berliner Ensemble auch wieder prompt durchexerzierte, als er vom „Altsozialisten“ Bond sprach, „der nicht müde wird, jedem, der es nicht hören will, zu erzählen, daß nach dem Untergang des Kommunismus allüberall der Faschismus reagiere“.

Doch dieser Beißreflex aus luftigen Münchner Dandyhöhen hat mit „Olly's Prison“ nichts zu tun. Dem unverbesserlichen Aufklärer Bond, der im Alter von 15 Jahren beschloß, genug in der Schule herumgesessen zu haben, um sich fortan in Fabriken und Büros herumzutreiben, wird man damit nicht gerecht. „Ich komme aus dem Arbeitermilieu. Mit dem Schreiben fing ich aufgrund des Schocks des Zweiten Weltkriegs an. Erstmals war es möglich, auf einer englischen Bühne ernsthafte Charaktere der Arbeiterklasse zu zeigen, und nicht, wie das sogar noch bei Shaw der Fall war, als Comicfiguren“, sagt er rückblickend und sitzt geduldig neben der Brecht-Büste im kleinen Park vor dem Berliner Ensemble, wo er von zwei Fotografen abwechselnd abgelichtet wird. „Es ist gefährlich für Herrn Brecht, in Bronze gegossen zu sein“, meint er nebenbei und ist fast selbst schon eine Legende des modernen Theaters.Jürgen Berger

Edward Bond: „Männergesellschaft“. Hamburger Schauspielhaus 13.1., Basler Theater 26.1.

Edward Bond: „Ollys Gefängnis“. Berliner Ensemble; ab 22.12. am Schauspiel Essen; ab 27.5. Staatstheater Kassel.

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