: Kommt TV-Spiegel?
Machtkampf im „Spiegel“: Augstein will Stefan Aust als neuen Chefredakteur durchdrücken ■ Von Michael Rediske
Nein, ein Mann für den Spiegel der Zukunft ist Hans Werner Kilz nun wirklich nicht. Wie der Chefredakteur da vor vier Wochen auf einer Spiegel-Podiumsdiskussion mit den DDR-BürgerrechtlerInnen plötzlich begann, ein langatmiges Referat von Karteikärtchen abzulesen, rief bei den 1.000 Berliner ZuhörerInnen nur noch Heiterkeit hervor. Jetzt hat auch Herausgeber Rudolf Augstein die Nase voll. Er fordert die Ablösung des drögen Kilz und will ihn durch seinen Ziehsohn Stefan Aust ersetzen, derzeit Chef von Spiegel-TV.
Doch noch hat er die Rechnung ohne die Redakteure gemacht, die 50 Prozent der Gesellschafteranteile halten. Bei ihnen galt zwar Kilz nicht als der Zukunft letzter Schluß, doch gegen Aust gab es schon beim letzten Revirement heftigen Widerstand. Im August erst wurde der zweite Chefredakteur Wolfgang Kaden zum Manager-Magazin abgeschoben, und Kilz bekam mit Dieter Wild einen zweiten Stellvertreter an die Seite gestellt.
„Eine etwas kurzfristige Lösung“, gab seinerzeit auch Joachim Bölke, Ressortleiter und Sprecher der Mitarbeiter KG, zu. Eigentlich meinte er damit den 63jährigen Dieter Wild, der in zwei Jahren in Rente geht. Jetzt ist die Frist noch kürzer geworden. Gestern nachmittag wollten allerdings, so war in Hamburg zu hören, die Mitarbeiter KG und eine Delegation der Redaktion aber noch einmal gegen die Augsteinsche Lösung intervenieren.
Die meisten Redakteure wollen lieber erst einmal wieder Ruhe im Laden haben. Schließlich, so sagte Bölke noch vor wenigen Wochen in einer öffentlichen Diskussion beim Adolf-Grimme-Institut, habe Focus von seinen 600.000 Exemplaren dem Spiegel nur 30.000 abgenommen. „Das bestärkt die Redaktion“, meinte Bölke. Etwas Farbe habe das Blatt bekommen, aber eben auch nicht zuviel. Und Markenzeichen des Spiegel sollten weiter, anders als bei Focus, die „ausrecherchierten Geschichten“ bleiben.
Doch Augstein will den Wechsel jetzt und hat eine „Mängelliste“ vorgelegt, um Kilz loszuwerden. Die Zahl der Anzeigenseiten ist in einem Jahr um 11,5 Prozent zurückgegangen, das persönliche Verhältnis zum Chefredakteur sei zerrüttet, und eine schlechte Titelauswahl macht er für den Auflagenschwund mitverantwortlich. Dumm nur für Augstein, daß der Minusmacher unter den Titeln der letzten Zeit, so ist in Hamburg zu hören, ausgerechnet seine eigene Solschenizyn-Geschichte war. Auslöser soll für Augstein die Nummer von diesem Montag gewesen sein: Geärgert hat ihn, so wird kolportiert, nicht nur Olaf Ihlaus Bosnien-Kommentar, sondern vor allem, daß er nichts davon wußte und daß sein eigener („Herzogs Harris“) erst sechs Seiten weiter hinten im Blatt stand.
Von Aust erwartet sich Augstein mehr Impulse für den Konkurrenzkampf als von Kilz, der als „Schönwetterkapitän“ angeheuert hatte. Schließlich kommt, vermutlich im Januar, noch ein drittes Montagsmagazin auf den Markt: Feuer aus dem Bauer-Verlag. Dessen Chefredakteur Harmut Volz hat 17 Jahre beim Spiegel gearbeitet und will versuchen, „kritisch-liberal“ und zugleich moderner als der Spiegel zu sein.
Da könnte ein Aust schon der richtige sein, um gegenzuhalten. Doch in der Redaktion haben viele Bedenken: Man fürchtet nicht nur den „kleinen Feldherrn“, sondern auch den TV-Journalisten, der aus dem Magazin „gedrucktes Fernsehen“ machen könnte. Tatsächlich beschränkt sich Austs Printerfahrung im wesentlichen auf die St.Pauli-Nachrichten und ein kurzes Gastspiel bei Konkret.
Bislang sträuben sich die Ressortleiter denn auch noch gegen den Wunschkandidaten des Herausgebers und wollen noch einmal eine Dreierdelegation zu ihm schicken. Ihr Problem: Ihnen fällt keine Alternative ein. Außer vielleicht Manfred Bissinger, der aber mit Leib und Seele (und eigenem Kapital) an der Woche hängt. Es sei denn, Bissinger, dessen Innovationen den Spiegel durchaus nach vorn bringen könnten, wollte die Gelegenheit zu einem guten Abgang nach oben nutzen. Seine Wochenzeitung ist jedenfalls arg am Rudern und kann die Auflage von knapp über 100.000 nur dadurch halten, daß fast die Hälfte davon an Lesezirkel, Hotels und Fluglinien abgegeben wird.
Im Marketing hat auch der Spiegel schon kräftig gewirbelt. Früher hieß es, so Geschäftsführer Karl Dietrich Seikel, überspitzt: „Du lieber Leser oder du lieber Inserent, du wirst schon merken, was du dir antust, wenn du den Spiegel nicht liest oder nicht in ihm wirbst.“ Jetzt hat man sich mit Kurt Otto einen Fachmann für „Marktkommunikation“ geholt und dazu den als Sat.1-Geschäftsführer geschaßten Werner E. Klatten – einen Fernseh-Manager. Stefan Aust, in den letzten Monaten als Troubleshooter bei Vox erfolgreich, würde dazu passen.
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