: Tattoo und Teddybär
■ Blumenvase für Mama, ein Kuß für Freunde: Vom Leben außerhalb des Kaufrauschs / Ein Geschenkartikel von Iris Schneider
üß klingeln die Kassen und ausgeleierte Tonbänder dudeln besinnlich-kitschige Weisen dazu. Die aufgedonnerten Beleuchtungen in den Einkaufsstraßen tun ihr mögliches, um den Kunden die Orientierung zu rauben. Und als ob das alles noch nicht reicht, finden wir uns lemming-gleich in einer Masse ebenso orientierungsloser Mitmenschen wieder. Gute Vorsätze nach dem Motto: „Dieses Jahr schenken wir uns aber nichts“, klingen im Sommer ja noch ganz nett, werden aber in der Vorweihnachtszeit hemmungslos über Bord geworfen.
Sind wir denn alle unrettbar verloren? Gibt es niemanden, der diesem Terror entrinnt? Doch, mitten unter uns leben Menschen, die außerhalb des Kaufzwangs stehen oder stehen wollen: Kinder, ausländische MitbürgerInnen, für die Weihnachten kein Fest ist, aber auch manche BauwagenbewohnerIn gehört dazu.
Kinder bekommen zum Fest von allen Seiten Geschenke. Beschenken sie auch selbst jemanden? Ja, Mama, sagen die meisten Kinder unter zehn spontan. An zweiter Stelle folgen Oma und Opa, dann noch Bruder oder Schwester. Väter rangieren offenbar ziemlich weit hinten in der Gebergunst, sie werden meist nur auf Nachfrage genannt.
So einfach mit Einkaufen ist das für die Kleinen aber nicht zu regeln: „Man weiß ja meistens nicht, was es gibt und wo“, bringt Fabian (9) die Sache auf den Punkt. Selbermachen ist für die meisten deshalb immer noch die Devise. Topflappen und Lesezeichen sind inzwischen – gottseidank – out, selbstgetöpferte Blumenvasen für die Mami sind in einer ersten Klasse in der Schule Chemnitzstraße der Renner.
Selbst bei den Kindern gibt es schon verschiedene Schenktypen. Da sind die Spontanen: „Weiß noch nicht, mal sehen, was es so gibt“, die Schuldbewußten: „Muß mir nächstes Wochenende wohl mal Gedanken machen“, und die Strategen, wie Mark (8) beispielsweise. Der verschenkt ein Bild – eigenes Werk, natürlich – im Bilderrahmen. Den hat er mal im Kindergarten bekommen, weil er bei einer größeren Aufräumaktion geholfen hat. Sicher aufbewahrt kommt der jetzt zum Einsatz.
Weniger Einsatz zeigen Klaus und Claudia, gerade zu Besuch auf dem taz-nachbarlichen Bauwagenplatz. Klaus, typisch Mann, wenn man der Abendblatt-Umfrage glauben darf, geht kurz vor Weihnachten los und kauft, was er gut findet. Claudia bestreitet zunächst heftig, irgendjemandem irgendwas zu schenken. Schlechte Erfahrungen von früher. Oma eins pflegte ihre Präsente noch unterm Baum weiterzuverschenken, und Oma zwei läßt regelmäßig eine Schachtel Weinbrandkirschen rüberwachsen, obwohl Claudia Alkohol doch ablehnt. Wahrscheinlich kann die alte Dame sich bloß nicht an den Gedanken gewöhnen, daß jemand die unschuldigen Pralinen wirklich für Sprit hält.
Dann fällt Claudia doch noch was ein: „Ich mag gerne Geschenke, die den anderen ein bißchen provozieren.“ Wie letztes Jahr ihren Bruder, dem hat sie einen Body geschenkt. Die Idee findet Klaus genial. Alle sollten sich Bodys schenken, schlägt er vor, und am gleichen Abend noch anprobieren. „Vielleicht finden sie sich ja wieder ganz sexy. Dann haben sie an den Feiertagen wenigstens was zu tun“, begeistert er sich.
Ganz im Ernst geben die beiden dann noch vertraulich weiter, was in der Szene zur Zeit als Präsent angesagt ist: Gutscheine für Tattoos und Piercings. Ab 100 Mark koste so ein Körperbildchen – beim ambulanten Artisten. Im Tattoo-Shop muß man bis zu 400 Mark hinlegen und weniger individuell seien die Werke auch noch. Der schmucke Ring an Augenbraue oder in Bauchnabelnähe ist, je nach Material, für um die 150 Mark anzubringen.
Dann doch lieber die zärtliche Variante von Reza, der im Karo-Viertel Falaffel verkauft. Zu Weihnachten trifft er sich mit Freunden bei einem guten Essen. Die Kinder bekommen Spielsachen. Und die Erwachsenen? „Denen schenke ich meine Liebe und einen Kuß.“
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