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Seidene Rüstungen

Nach dem formlosen Hüllenlook nun die Revanche der Dessousindustrie / Mit dem Wonderbra auf gehobenem Niveau / Und für den Mann: Die Miederhose mit Raumfahrtelastizität  ■  Von Anja Dilk

In den fünfziger Jahren war sie ein absolutes Muß. Marilyn, Sophia und vielen erlesenen Schönheiten des flimmernden Zelluloids verhalf sie zum Ruhm: die straff geschnürte Üppigkeit, effektvoll zur Schau gestellt unter anschmiegsamen Kleidern und fließenden Stoffen.

Wogende Dekolletés, gewagt und sexy – sie sind wieder in, die figurbetonten Textilien, samtig formenden Bodys und lüstern hebenden Büstenhalter. Nach Jahren schnörkelloser Natürlichkeit und lässig verhüllenden Leinenbahnen ist knisternde Sinnlichkeit angesagt, figurbetont und gnadenlos. Die erfolgsorientierte High-Tech- Gesellschaft trachtet nach inszenierter Sinnlichkeit. Nach dem formverlorenen Schlabberlook der vergangenen Jahre hat eine neue Lust an zitternden Rundungen und hochstilisierter Körperkultur Konjunktur.

„Die Emanzipation, der Drang nach Gleichberechtigung in allen Bereichen, kann assoziiert werden mit einer vermeintlichen Vermännlichung der Frau“, meint der Berliner Psychologe Konrad Sprai. Will die männliche Gesellschaft die emanzipierte Frau nun in seidenen Rüstungen bändigen, aufs wesentlich Weibliche zusammengeschnürt? „Der neue Trend zur ausgeformten Weiblichkeit ist auch eine Gegenreaktion der Frauen selbst“, glaubt Sprai, „die ihre femininen Charakteristika in einer männlichen Leistungsgesellschaft wiederfinden wollen.“ Auf der Suche nach dem ewig Weiblichen ist die Selbstinszenierung der weiblichen Physis angesagt.

Es wird also wieder Dekolleté gezeigt – und da muß natürlich die Form stimmen. Was die Natur der ein oder anderen versagte, dem rückt die Industrie, nicht faul, mit formschönendem Schaumstoff, elastischem Gummi und tragfähigen Stoffen zu Leibe. Hochgepuscht und hingeschnürt verhelfen Wonderbras und Ultrabras der weiblichen Büste zu vollendeter Weiblichkeit.

Die BHs mit dem „Miracle-Effekt“ haben Hochkonjunktur. In 28 Arbeitsgängen zusammengefügt, liefern die 46 Einzelteile der Frau der 90er, was ihr zu weiblicher Vollkommenheit noch fehlte. Bügelgestützte Enden sollen das formlose Absinken ins Nirgendwo der Schwerkraft effektvoll verhindern. Herausnehmbare Innenpads in leicht gefütterten Schalen, ermöglichen eine nahezu vorbildliche Gestaltung der Vorderansicht. Statt Individualität idealtypischer Einheitslook. Nicht nur bei kleinem Dekolleté, auch bei unpassend nach rechts oder links abdriftenden Üppigkeiten oder zu weit auseinanderstehenden Wölbungen können die Wunder-BHs Abhilfe schaffen. Mit solch nachlässigen Mißgriffen der Natur möchte sich Frau zunehmend weniger abfinden und trachtet nach optimierter Erfüllung der weiblichen Imago. Die Firmen können kaum so schnell liefern, wie die Kundinnen kaufen. Allein die Firma Intex, die Wonderbra produziert, hat innerhalb eines Jahres ihre Produktion dreimal verdoppeln müssen. Bei Gossard wurde die Produktion seines Ultrabra-Plunge-BH seit Januar 1994 verfünffacht.

Heißt es bald auch wieder schnüren und schnallen, quetschen und pressen, um zerfließende Weiblichkeit in würdevolle Formen zu gießen? Steht nach dem Boom des Lift-BHs nun das Ganzkörperkorsett wieder vor der Tür?

Nürnberger Straße 20, ein kleines Geschäft im gelben Licht dumpfer Glühbirnen. Vergilbte Dessouskisten aus den fünfziger Jahren stapeln sich in den Regalen. Lachsfarbene Korsagen aus feinster Atlasseide mit französischer Spitze, zierliche Schnürmieder für eine elfengleiche Taille. Ein gelber Spitzen-BH mit handballgroßen Körbchen. „Kemsies liefert mit oder ohne Brust.“ Was schnürt und hebt und formt – Elfi Kemsies hat es in allen Facetten und Formen.

Die 74jährige Korsettiere ist eine der letzten ihrer Zunft. Bis in die achtziger Jahre hat die Korsettmacherin noch selbst auf Maß geschneidert. Stummfilm-Star Pola Negri gehörte zu ihren Kunden. Und Elfis Mutter setzte noch die Formen von Marlene Dietrich in rechtes Licht. Im Oktober feierte der Korsettladen 59jähriges Jubiläum. Maßanfertigungen aber macht Elfi Kemsies schon lange nicht mehr. Dafür ist sie nicht mehr fit genug.

Von Trends hält Elfi Kemsies nicht viel. Sie ist sich sicher, daß für Korsagen auch heute noch Bedarf besteht. Nicht nur bei den Fülligeren. „Man schlüpft hinein und fühlt sich hübsch. Das will doch jede.“

Zwar kommen nun auch stylende Bodys auf den Markt, die nicht nur obenherum, sondern auch in der Mitte und hinten diskret zu bändigen verstehen. Doch Korsagen, da ist man sich in der Branche einig, werden keinen entscheidenden Kick bekommen. Geformte Erotik hin oder her – allzu unbequem dürfen Dessous einfach nicht mehr sein. Auch der puschende BH mit dem speziellen Dekolletéeffekt ist kein Alltagsartikel. Zu sehr zwickt und zwackt es doch, wenn in Form geschoben wird, was längst außer Form geraten ist.

Auch die Männerwelt, so scheint es, bleibt von dem Drang nach physischer Formvollendung nicht länger verschont. Wo sich frau beachtlich plustert, darf mann nicht mehr fehlen. Beruflicher Erfolg allein reicht nicht mehr für attraktive Männlichkeit. „Die Männer wollen Schluß machen mit der miefigen Fettarschmentalität“, schätzt der Psychologe Konrad Sprai. Nach verwegenen Brusthaartoupets und aufgemotzten Bodybuilderfiguren ist nun die feinere Linie gefragt. Diskrete Gesichtsschatten und gestylte Boss- Sakkos.

Die Industrie hat sich dem Problem der nicht hinreichend elaborierten Männlichkeit zumindest intellektuell bereits gewidmet. Intex zieht ein neues Projekt in Erwägung: Spezielle Stoffe von überzeugender Elastizität, die in der Raumfahrttechnik entwickelt wurden, sollen zum Einsatz kommen. Daraus gefertigte Miederhosen für Männer könnten in Zukunft für eine diskrete Verteilung von allzu üppig geratenem männlichen Bauchspeck sorgen.

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