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Wie dunnemals

■ Das Buch zum Advent mit Kindern

Diejenigen unter uns, die Kinder haben, sind einmal im Jahr fein raus. Denn sie dürfen die Adventszeit – praktizierende ChristInnen ausgenommen – wohl als einzige ohne die krampfhafte Suche nach Auswegen genießen. Sie entgehen dem Frust, in alternativer Runde an Heiligabend auch nichts anderes zu machen als weiland in der Familie; und auch über die zähneknirschend gelassene Weihnachtsignoranz können sie nur lächeln. Egal, wie sehr sie den Weihnachtsrummel eigentlich verachten: Der Kinder wegen darf alles sein wie einst. Ohne Backen, Engelgeschichten, Strohsterne und Girlanden aus Glanzpapier geht es eben nicht. Und ohne Hausbuch letztlich auch nicht.

Hausbuch: Familienidyllen des Biedermeier oder der Restaurationszeit, Mann und Frau und Kinder vereint um das gute Buch, das für jede Situation und jede Tageszeit Erbauung bereithält. Renate Steinchens „Altberliner Weihnacht“ ist nichts anderes. Aber gerade deswegen ungemein nützlich. Reichlich illustriert und verziert enthält es Geschichten von Berliner Weihnachtsritualen vornehmlich des 19. Jahrhunderts, Backrezepte, Bastelanleitungen, Gedichte und Lieder. Und dies alles ohne Kindertümelei oder aufgesetzte Frömmigkeit.

Mit Texten von Walter Benjamin, Paul Lindenberg, Adolf Glaßbrenner, Hanns Fechner oder Adolf Heilbronn kann man Fünf- bis Zehnjährigen vorlesen, wie der Einkaufsbummel Anno dunnemals aussah, wie der Weihnachtsmarkt, als der noch kein Synonym für Achterbahn war. Was waren Waldteufel, was Adventskronen und was Weihnachtspyramiden? Seit wann gibt es Christbäume, was konnte man in den Konditoreien für zwei Groschen Eintritt zur Adventszeit besichtigen, wie sahen die Grußkarten aus? Wie macht man heute Pflaumentoffel, was stand auf Lebkuchenherzen?

Der Blick auf den vierten Stand in dieser prekären Situation des Schenkzwangs ist ebenso vertreten wie der ins Fürstenhaus. Lokalkolorit lehrreich und unterhaltsam – wer's heute kauft, kriegt die nächsten beiden Adventswochenenden sicher spielend über die Runden. Petra Kohse

„Altberliner Weihnacht“, hrsg. von Renate Steinchen, Argon Verlag, 144 Seiten, 29,80 Mark.

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