: Rote Spuren in Norditalien
Geschichte erfahren: Eine Studienreise durch die Emilia Romagna mit Zeitzeugen der Partisanenbewegung ■ Von Sanne Kaperlat und Heike Herrberg
Wir hatten damals kein politisches Bewußtsein, nur keine Lust, den Krieg weiterzuführen. Zu den Partisanen zu gehen war ein Akt der Selbstverteidigung.“ So wie Sergio sprechen viele der alten KämpferInnen über ihre Motivation. „Wir wollten Freiheit.“
Eine Woche lang werden wir uns auf die Spuren der PartisanInnen in der norditalienischen Emilia Romagna begeben. Wir – das ist eine Gruppe von achtzehn Leuten aus Bielefeld und anderen Städten, die aus ganz unterschiedlichen Arbeitsbereichen kommen und in dieser Woche ihren Bildungsurlaub in Italien verbringen. Zehn ehemalige Partisanen, heute zwischen 65 und 80 Jahren alt, begleiten unsere Gruppe zunächst für drei Tage in den Apennin.
In der Emilia gab es schon zu Beginn des Jahrhunderts die stärkste ArbeiterInnenbewegung Italiens. Diese Region war Massenbasis der Genossenschaftsbewegung und Hauptschauplatz der politischen und militärischen Auseinandersetzungen zwischen „Roten“ und „Schwarzen/Faschisten“ (Bertoluccis Film „1900“ wurde hier gedreht).
Unsere Tour führt durch das Gebiet der ehemaligen PartisanInnenrepublik von Montefiorino. 45 Tage – von Mitte Juni bis Ende Juli 1944 – hat dort die selbstverwaltete Freiheit innerhalb der zwanzigmonatigen deutschen Besatzung funktioniert. 1.200 Quadratkilometer umfaßte damals dieses kleine, von den PartisanInnen befreite Gebiet. Sechstausend PartisanInnen beteiligten sich an dieser Selbstverwaltung, bis fünftausend deutsche Wehrmachtssoldaten zusammen mit italienischen Faschisten in einem drei Tage währenden Großeinsatz brutal dagegen vorgingen.
Wir halten in Monchio, einem kleinen Dorf, in dem im März 1944 deutsche und italienische Faschisten mit Kanonen, Flammenwerfern und Maschinengewehren einen Massenmord an der Zivilbevölkerung verübten. Trotz der Massaker – die Partisanen bekamen erheblichen Zulauf. Von Monchio aus führt die Straße in Serpentinen mit 20 Prozent Steigung zum „Parco della Resistenza“ in St. Giulia. Dieser 1993 eingeweihte Widerstandspark – im Herzen der ehemaligen PartisanInnenrepublik – ist ein internationales Projekt von Künstlern aus sieben Ländern. Sie errichteten vierzehn Steinplastiken, die den Befreiungskampf thematisieren.
Das Widerstandsmuseum im Schloß von Montefiorino ist erst kürzlich eröffnet worden. Beim Anblick der Originalwaffen, -uniformen, -schreibmaschinen, -flugblätter und -sabotageanleitungen bekommt mancher alte Partisan selbst heute noch leuchtende Augen. Dario erzählt, wie praktisch es damals war, das zusammenklappbare Gewehr der Marke X dabeizuhaben, weil man das gut verstecken konnte.
Hier im Museum ist auch den Frauen der Resistenza eine Ecke gewidmet. Im Frühjahr 1945 bildete sich das einzige Partisaninnenkommando mit 180 Frauen. Doch meistens kämpften die Frauen, wie gehabt, im Hintergrund: sie sorgten für die lebensnotwendige Infrastruktur. Frauen arbeiteten als staffetas und überbrachten Nachrichten, Lebensmittel und Kleidung, besorgten Quartiere, sondierten oft die Lage, bevor ein Angriff stattfinden sollte. Sie waren es, die sich neben ihren Widerstandsaktivitäten auch weiterhin um das Überleben der Familie kümmern mußten. Doch der große Anteil der Frauen am Widerstand bleibt bis heute ein unterbelichtetes Kapitel. Sie bleiben weitgehend im Hintergrund. In Fontanaluc gelang es den PartisanInnen 1944 eine eigene Krankenstation einzurichten. Nachdem sie Verletzte in Etappen mühsam von den Bergen in die Poebene hinuntertransportiert hatten.
In Cervarolo – das kleine Dorf, das wir nach einstündiger Wanderung erreichen – stoßen wir auf verschlossene Türen. Ein Ehepaar gehört zu den wenigen Überlebenden, die sich vor dem Massaker der Deutschen, einer Vergeltungsaktion am 20. März 1944, hatten retten können:
„Diese jungen Deutschen kommen vielleicht in guter Absicht, aber ich bekomme schon eine Gänsehaut, wenn ich die deutsche Sprache nur von weitem höre.“ In Cervarolo wurden die anwesenden 26 Männer von der SS auf dem Dorfplatz zusammengetrieben und hingerichtet. Zwei Schwerverletzte konnten sich aus dem Leichenberg retten. Eine Gedenktafel mit italienischem und deutschem Text, die eine Berliner Gruppe Ende der achtziger Jahre spendete, wurde in Cervarolo gegen den Widerstand der Dorfbevölkerung vom Partisanenverband angebracht. Man wollte kein Wort der verhaßten Sprache an diesem Ort dulden. „Ich habe heute noch Herzklopfen, wenn ich euch davon erzähle.“ Während Giuseppe, der Präsident des Partisanenverbandes, spricht, werden in den Häusern um den Platz die Fensterläden geschlossen. Eine eindeutige Geste.
Wir haben inzwischen wieder einige Höhenmeter überwunden und stehen an der Stelle, wo im Mai 44 der erste Fallschirmabwurf seitens der alliierten Engländer für die PartisanInnen stattfand. Außer Waffen gab's auch Schokolade, Handtücher, Seife und Tee, den die PartisanInnen zunächst für Tabak hielten, da die meisten von ihnen aus armen Familien kamen und Tee nicht kannten. „Aber auch gekocht schmeckte er uns nicht“, erzählt Roberto amüsiert von den damaligen Erlebnissen, „den Tee können die Engländer behalten...“ Die Gedenktafel, die 1986 hier zwischen den Bäumen aufgestellt wurde, war im letzten Jahr Ziel eines Neonazi-Angriffs und ist erst seit einer Woche wiederhergestellt. Im Bus übersetzt uns ein Zeitzeuge später einen Zeitungsartikel über den aktuellen Skinhead-Aufmarsch vom 23. Juli 1994 in dem ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald.
Die Unterstützung der PartisanInnen durch die Alliierten dauerte nicht lange. Im Winter 44/45 wurde sie völlig eingestellt. Engländer und Amerikaner fürchteten die politische Stärke der kommunistischen Partisanenverbände nach dem Ende des Krieges. „Truman hat gesagt, er hofft, daß der letzte kommunistische Partisan im Kampf mit dem letzten Faschisten fällt“, erinnert sich einer der Genossen.
So wurden in den fünfziger Jahren viele ehemalige PartisanenkämpferInnen Opfer von Verhaftungen, weil sie zum Beispiel Streiks zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen anführten. Jahrelange Untersuchungshaft war zum Teil die Reaktion auf diese Proteste.
„1960, als die Christdemokraten in die Allianz mit den Faschisten gegangen sind, gab es fünf Monate lang den Zustand, daß die Leute ständig auf der Straße waren, daß sie verhaftet und geschlagen wurden, daß Leute auf der Piazza erschossen wurden, es war nahezu ein Volksaufstand“, erzählt uns eine Zeitzeugin. Bei einer großen Demonstration im Juli 1960 gegen die Etablierung des faschistischen Bündnisses wurden auf der Piazza in Reggio Emilia fünf Menschen erschossen, darunter drei, die die Resistenza überlebt hatten. Die Umstände der Ermordung legten damals die Vermutung nahe, daß es sich hierbei um gezielte Morde gehandelt hat. Daß die Zeit der Resistenza und die Erfahrungen der PartisanInnen sich kaum in den Geschichtsbüchern wiederfinden, versteht sich vor diesem Hintergrund fast von selbst.
In Ligonchio haben wir Gelegenheit, mit Frauen aus der Resistenza persönlich zu sprechen. „Wir Frauen hatten ja damals nicht nur den Kampf gegen den Faschismus zu führen, sondern auch den gegen unsere Benachteiligung“, erzählt Giaconda. Mit dem Ziel der Gleichberechtigung für Frauen wurden die gruppi di difesa della donna (Frauenverteidigungsgruppen) gebildet. Aber die politische Arbeit in den Frauenverteidigungs- und in den Versorgungsgruppen wurde nach dem Krieg nicht als Arbeit in der Resistenza anerkannt. Denn Voraussetzung für diese Anerkennung war unter anderem die Beteiligung an drei bewaffneten Aktionen. Für die aktiv beteiligten Frauen bedeutete das allzuoft den Verlust der finanziellen Entschädigung, die für ehemalige PartisanInnen gezahlt wurde.
Zurück in Reggio Emilia, dem Ausgangsort unserer Spurensuche. Dort erkunden wir die Poebene mit dem Fahrrad. Unser Ziel ist der Cervi-Hof, wo wir mit überlebenden Frauen der Cervi- Familie zusammentreffen. Die sieben Söhne wurden im Dezember 1943 hingerichtet, weil sie sich geweigert hatten, die obligatorische Lebensmittelabgabe an das faschistische Regime zu leisten und als eine der ersten aus der Region als Partisanen in die Berge gingen. Ein Teil des Hauses ist heute Museum mit einer Fülle von Dokumentationsmaterial.
Maria, die Tochter eines der ermordeten Brüder, will von uns wissen, wie der Widerstand unserer Familien im Faschismus ausgesehen hat. Wir müssen passen: Niemand von uns kann eine/n WiderstandskämpferIn in der Familie vorweisen. In unseren Familien hat nämlich angeblich niemand unserer älteren Verwandten etwas gewußt.
„Hier war auch nicht alles so gut“, dämpft eine Zeitzeugin unsere Begeisterung für die italienischen Verhältnisse, „schließlich konnte sich Mussolini zwanzig Jahre halten. Der Massenwiderstand hat hier auch erst 1943 angefangen.“ Und der anwesende ältere Genosse ergänzt: „Die Reggio Emilia als ,rote Provinz‘ ist schließlich nicht repräsentativ für ganz Italien.“
Die Frauen verabschieden sich gegen Abend. Auch heute noch halten sie die Infrastruktur aufrecht. Sie kochen fürs örtliche Unità-Fest, dem traditionellen Fest der Kommunistischen Partei. Die nennt sich seit der „Wende“ PDS (Demokratische Partei der Linken).
Der Befreiungskampf wird im Geschichtsinstitut von Reggio „Institutio per la storia della Resistenza e della Guerra di Liberazione“ dokumentiert. Es gehört zu einem Verbund von insgesamt 65 Instituten verschiedener Landkreise in Mittel- und Norditalien, die den Schwerpunkt „Resistenza“ haben. Darüberhinaus arbeiten diese Institute zur allgemeinen Zeitgeschichte.
Dort treffen wir zwei Gruppen junger Leute. Sie arbeiten zu antifaschistischen Themen heute. Die AktivistInnen einer Jugendgruppe innerhalb der anarchistischen Föderation sehen ihren Schwerpunkt in der kulturellen Arbeit: „Das Problem ist nicht die politische Rechte, sondern die kulturelle Rechte ... denn Berlusconis Propaganda kommt unkommentiert per Fernsehen jeden Abend in alle Wohnzimmer.“ Dem erstarkenden Patriotismus wollen sie Internationalismus entgegensetzen. Sie arbeiten und leben mit Flüchtlingen und organisieren Aktionswochen zum Thema Resistenza in der Schule.
Unter den verschieden Gruppen gibt es viele gegenseitige Abgrenzungsbemühungen. In einem Punkt aber sind sich alle einig: Es existiere so etwas wie ein „antifaschistischer Konsens“ in Norditalien quer durch alle Parteien (ausgenommen der neofaschistischen MSI/AN). „Die Erfahrungen von Resistenza und Faschismus sind so prägend, daß sich eine antifaschistische Grundhaltung nicht so leicht verändern läßt.“ Was ist aber dann mit Lega Nord und Forza Italia, grübeln wir.
Eine junge Frau räumt ein, daß der Mythos „Stark sein“ als Konzept von den Rechten vertreten werde, somit sei es bei den Jüngeren „modisch, rechts zu sein“. Die Linke habe nichts entgegenzusetzen, und „viele von uns haben das Grauen des Krieges nie erlebt“.
Auf den Spuren der Partisanen ist anerkannt als Arbeitnehmer-Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen. Die Reise wird organisiert vom Bildungswerk für Friedensarbeit, Alfred-Bozi-Straße 10, 33602 Bielefeld, Tel.: 0521/175569, 790 DM. Nächster Reisetermin ist vom 21. April bis 2. Mai. Anmeldeschluß für diese erste Reise 1995 ist der 9. März.
Eine weitere Reise findet im Herbst statt.
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