: Froh in die Opernpause
Nach Beckers Niederlage macht sich beim Grand-Slam-Cup früh Abschiedsstimmung breit ■ Aus München Markus Götting
Im Aufgang zum Tribünenblock G der Münchner Olympiahalle werkelten sie eifrig an einem schaumstoffenen Weihnachtsbaum herum, ließen zu frühabendlicher Stunde die Bohrmaschine krächzen und die tannengrünen Farbspraydosen zischen. Ein bißchen Glitzer hier, kleine rote Farbkugeln dort, derweil sich wenige Meter weiter Aufbruchstimmung erhob: In den Presse-Arbeitsräumen packten einige Chronisten bereits sorgfältig zusammen – adieu Grand-Slam-Cup, du umstrittenes Finale des nicht minder diskutierten Tenniszirkus.
Irgendwie hatte man sie zwar erwartet, die vorerst letzte Folge der Beckerschen Tennisseifenoper. Und irgendwie hatte man doch auch noch auf eine Fortsetzung gehofft. Aber wäre nicht auch Scarlett besser durch den Wind geschossen und uns mithin erspart geblieben? Wer weiß, vielleicht kam die 4:6, 1:6-Niederlage gegen Goran Ivanisevic gerade recht? Immerhin gestand Becker selbst, er sei „froh, eine Pause zu haben“. Womöglich erfreut der Weltranglisten-Dritte die Fangemeinde der Becker-Soap im kommenden Jahr mit immer neuen Happy-End-Episoden, so wie es ihm in dieser Saison häufiger als erwartet gelang.
Noch zu Jahresbeginn wähnte man Becker, 27, sportlich allmählich im Vorruhestand, weil er sich mehr auf seine Vaterrolle zu konzentrieren schien als auf seinen Job. Doch nun sagt er, die Familie gelte ihm als das sinnstiftende Element in seinem Leben, sie habe ihn unterstützt bei seiner beruflichen Rückkehr in die ultimative Elite. Also: Was kümmert da schon eine Viertelfinal-Niederlage bei einem Showturnier? Zumal die mit einer Viertelmillion Dollar immerhin noch ganz ordentlich honoriert wird. Boris Becker macht nun also in seiner Drittheimat München einige Tage Urlaub und wird vielleicht auch mal wieder reinschauen in die Olympiahalle, die Kollegen bei der Arbeit zu beobachten.
Gut möglich, daß er seine rechte Freude haben würde, zu erleben, wie im heutigen Halbfinale Goran Ivanisevic Gegner Pete Sampras die von brachialer Gewalt getriebenen Aufschläge so um die Ohren fegen wird, daß der sich tatsächlich nach einer „kugelsicheren Weste“ sehnen muß, wie Sampras selbst respektvoll schon mal bekundet hat. Furcht indes dürfte dem Weltranglisten-Primus aus Tampa, Florida dieser Tage mindestens ebenso fremd sein wie euphorische Gefühlsausbrüche. So souverän, so beinahe unantastbar über den Dingen thronend, hetzte er beim 6:4, 6:3-Sieg seinen kurzbeinigen Landsmann Michael Chang über den Court, das es bedauernswert wirkte, wie sich der abmühte. Changs Break im zweiten Satz besaß denn auch annähernd majestätsbeleidigenden Charakter: Sampras, der geschmeidige Pianist in Tennisschuhen, steigerte sogleich sein Allegretto zum Fortissimo – schlug noch härter, noch präziser. Zwei Breaks als Sanktion wider die Unerhörtheit.
Die große Show ist seine Sache nicht. Sampras erledigt seinen Job mit der Akribie eines Steuerprüfers: nüchtern, emotionslos. Und dennoch feiern ihn die Zuschauer in der täglich ausverkauften Arena. Sie lieben ihn dank seiner filigranen Tenniskunst. Was, wenn dieser Mann noch zottelige Haare hätte, umherstakste in Stiefeln, die glauben machen, er sei vom Mond gefallen? „Samprassi“ wäre der Quotenheld – und selbst die teutozentrierten Pressefritzen würden ausharren bis zum sonntäglichen Matchball.
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