Wir lassen lesen: Dramatischer Stoff
■ 85 Jahre Borussia Dortmund
354 Seiten lang winden sich die Autoren mal schamhaft, mal ernstlich. Und immer wieder geht es Dietrich Schulze-Marmeling und Werner Steffen dabei um die gleichen Fragen: Wie sieht der „ideale“ Fußballverein aus? Und heißt er vielleicht doch Borussia Dortmund? Mündet bei diesem Klub eine Geschichte, die neben goldbekränzten Momenten auch Schmerz und Tränen kennt, wirklich in eine akzeptable Gegenwart? In ein Hier und Heute, in dem der Klub nicht allein die Maschinerien der Unterhaltungsindustrie schmiert, sondern sich als soziale Institution einer Stadt und einer Region sein Eigenleben gegenüber den Mächten des Marktes bewahrt? „Manche Leute glauben, im Fußball geht es ums Gewinnen. Das stimmt nicht“, so geben sich die beiden Forschungsreisenden durch die BVB-Geschichte ein Wort von Danny Blanchflower selbst mit auf den Weg, „im Fußball geht es um Ruhm.“
Der BV Borussia Dortmund, der am 19. Dezember seinen 85. Geburtstag feiert, kennt sowohl den Ruhm als auch den Blick in die Abgründe von Pleiten und Versagen. In den fünfziger Jahren die erfolgreichste Mannschaft Westdeutschlands, wurde Borussia 1966 der erste deutsche Europapokalsieger und fand sich sechs Jahre später in der Regionalliga wieder. 1974 und 1984 standen die Vorstände zweimal kurz vor dem Gang zum Konkursrichter, und am Ende dieser Saison erfüllt sich für einen der reichsten Bundesligaklubs nach 32 langen Jahren des Wartens vielleicht endlich wieder der Traum von der deutschen Meisterschaft.
Das ist dramatischer Stoff genug, der einfach nur auf die verrußten Kulissen von Kohle und Stahl projiziert, am Ende prächtigen Sozialkitsch oder Ruhrgebietsfolklore à la Werner Hansch ergeben würde. Gut, daß Schulze-Marmeling/Steffen es besser wissen. Und sie hängen wohl auch zu sehr an dem Klub, um sich mit schlichter Mythenbildung zufriedenzugeben, selbst wenn sie schreiben: „Anders als in München, Hamburg, Stuttgart oder Frankfurt ist in Dortmund alles auf den Fußball konzentriert. Dortmund ist Fußball, und Fußball ist Dortmund.“ Die Autoren belassen es allerdings nicht bei solchen Behauptungen, sondern erklären das Milieu genau, in dem das möglich ist. Weil sie nicht nur profunde Kenner der Fußballgeschichte des Ruhrgebiets sind, sondern auch dessen soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen kennen, ist „Der Ruhm, der Traum und das Geld“ gleich mehrfach zu lesen. Das Buch ist Vereinschronik und Sozialgeschichte des Ruhrgebiets. Zudem ist es als Fortsetzung und Aktualisierung von Schulze-Marmelings sozialhistorischer Untersuchung „Der gezähmte Fußball“ eine Diskussion der „schönen neuen Fußballwelt“ im Zeitalter von Fernsehgeldern und Champions League.
Nichts wird ausgelassen, nichts vergessen, die Fülle von Informationen und historischen Details ist beeindruckend. Die Rolle der Kirche bei der Vereinsgründung wird ebenso beschrieben wie das Verhältnis von Bier und Fußball oder das Zusammenspiel von Borussia mit der Sozialdemokratie. Ausgiebig sind die Vergleiche mit dem alten Lokalrivalen Schalke 04 und mit dem neuen Rivalen Bayern München. Die veränderte Rolle der Fans in der Ära des Fernsehfußballs wird ebenso analysiert wie die sozialen Implikationen der Stadion- Architektur. So großräumig ist bislang in Deutschland noch keine Vereinsgeschichte angegangen worden.
Und am Ende haben sich die Autoren auch zu einer Antwort auf ihre Kernfrage durchringen können. Ihr Konzept von einem Fußballverein als „sozialem Unternehmen“, das professionell geführt, aber weiterhin ein „Community-Projekt“ ist, sehen sie trotz verschiedener Einwände beim BVB weitgehend erfüllt. „Der Profiverein, wie wir ihn uns vorstellen, praktiziert eine Politik des Spagats zwischen Tradition und Moderne, Professionalität und Volksnähe – zum Wohle des Spiels und seiner Fans.“
Noch hält Borussia diesen Spagat zwischen Millioneninvestitionen und dem Gespür dafür, daß Borussia „ein Stück ideeller Besitzstand eines jeden“ ist (BVB-Präsident Niebaum). In einigen Jahren wird das wahrscheinlich mehr zum Ruhm des Klubs beigetragen haben als alle Siege, Titel oder atemberaubenden Treffer eines Stephane Chapuisat. Dahinter steckt das im Ruhrgebiet tief verwurzelte Gefühl für einen zur Zeit auch im Fußball nur mäßig modischen Begriff: Solidarität. Oder um es mit dem Dortmunder Altmeister Helmut Bracht im Klartext zu sagen: „Allein bist du eine Pflaume.“ Christoph Biermann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen