: Die Katastrophe ist da
■ Schulden statt Sparen: Hamburgs Stadtfinanzen erleben die größte Krise seit 60 Jahren / Bürgerschaft berät den Haushalt 1995 Von Florian Marten
Einen dramatischeren Inhalt bot das vieltausendseitige und schwergewichtige Planwerk noch nie: Wenn heute nachmittag die 121 Bürgerschaftsabgeordneten zusammenkommen, um in einem dreitägigen Sitzungsritual den 18,3 Milliarden Mark schweren Stadthaushalt 1995 zu verabschieden, geht es um die größte Finanzkrise der jüngeren Stadtgeschichte.
Alle Indikatoren leuchten knallrot: Während die Einnahmen um wenig mehr als ein Prozent wachsen, steigen die Gesamtausgaben um 6,5 Prozent. Der Schuldenstand springt von 30 auf 33 Milliarden Mark. Mit mehr als zwei Milliarden Mark haben die Zinszahlungen des öffentlichen Sektors schon fast die Sozialhilfeleistungen von 2,2 Milliarden Mark erreicht.
Für Insider besonders alarmierend ist der Trend bei der sogenannten „Zins-Steuer-Quote“ (Verhältnis von Zinszahlungen zu Steuereinnahmen) und der „Finanzierungsdefizitquote“ (Verhältnis von Ausgaben zu Einnahmen): Da liege Hamburg jetzt nur wenig vor Bremen am unteren Ende der deutschen Soliditätstatistik. Bei der besonders aussagefähigen „Finanzierungsdefizitquote“ beispielsweise liegen Gemeinden und Länder im Durchschnitt bei 7,2 bzw. 8,9 Prozent – Hamburg verzeichnet sensationelle 16 Prozent. Die Finanzbehörde tröstet: Ohne die drastische Wende hin zur Sparpolitik läge die Quote gar bei 17,5 Prozent.
Besserung ist nicht in Sicht: Selbst ohne Berücksichtigung der unverändert fröhlichen Schuldenmacherei von Wohnungsbaukreditanstalt, Stadtentwässerung und Stadtreinigung fehlen auf absehbare Zeit jährlich drei Milliarden Mark. Die Anstrengungen des Sparprogramms, so räumt Finanzsenator Ortwin Runde ungeschminkt ein, reichen da nicht aus. Falls das „Konsolidierungsprogramm“, vulgo „Volkssport Sparen“, wirklich greift, schmilzt diese Lücke lediglich um 800 Millionen auf 2,2 Milliarden Mark. Die Hoffnung Rundes, eine konjunkturelle Erholung werde bald 700 Millionen pro Jahr zusätzlich ins Stadtsäckel spülen, ist ebenso ungewiß wie unzureichend: Selbst dann betrüge das jährliche Loch noch 1,5 Milliarden. Dies ist um so erstaunlicher, als Hamburg 1994 und 1995 seine Ausgaben für Sozialhilfe und Zuwanderer erstmals absenken konnte, da die Asylrechtsverschärfung für sinkende Fallzahlen sorgte und Hamburg seine Sozialhilfegewährung drastisch verschärft hat.
Während der Senat die Ursachen für das Desaster gerne in Bonn und Neufünfland sucht – Hamburgs Osthilfe macht angeblich 700 Millionen Mark pro Jahr aus –, schimpfen Landesrechnungshof und selbstkritische Beamte der Finanzbehörde über die eigenen Anteile: Hamburg habe 1990 bis '93 aus Gründen des Machterhalts und des Expansionsrausches seine Ausgaben mehr als 30 Prozent gesteigert, eine finanzpolitisch unverantwortliche Größenordnung.
Für den Krisen-Haushalt 1995 geht der Senat an seine letzte Reserven: Der Verkauf des Sielnetzes an die ausgegliederte Stadtreinigung bringt zunächst zwar 1,2 Milliarden Cash, kostet dann aber, wie die Finanzbehörde mahnend anmerkt, den Ausfall von 250 Millionen Mark pro Jahr. Ein finanzpolitischer Schildbürgerstreich, meint die CDU, die hier zudem eine versteckte und verfassungswidrige zusätzliche Kreditfinanzierung wittert. Ortwin Runde stört das nicht weiter. Sein zukunftsweisendes Fazit: „Die Politik muß in den nächsten 10 bis 15 Jahren mit weniger auskommen.“ Weniger Schulden?
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