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Nie wieder wie früher

■ Wie krebskranke Frauen in Selbsthilfegruppen wieder Boden unter die Füße kriegen

Nennen wir sie Mareike M. Der Schock war groß, als sie die Diagnose erfuhr: Krebs. Sie wurde sofort operiert. Die Familie, die Freundinnen, alle schlichen um sie herum, schonten sie. Doch nach drei Monaten hieß es: „Jetzt hast du doch alles hinter dir.“ Und auch Mareike M. wollte wieder normal sein, wieder die emotional starke Schulter ihrer Familie. Doch sie fand keinen Weg mehr zurück in diese Normalität. Früher hatte sie gespürt, ob sie gesund war oder krank. Jetzt, nach all den Untersuchungen und Eingriffen, war ihr ihr Körper fremd. Und fremd auch die Rollen, die sie gespielt hat: die lustige Freundin, die geduldige Mutter, die sorgsame Omapflegerin.

„So wie ich lebe, will ich nicht mehr weiterleben, vielleicht bin ich ja in einem Jahr schon tot“, sagt sich Mareike M. Und beginnt zu hadern: Eigentlich hab' ich viel zu früh geheiratet, eigentlich wollte ich gar nicht nach Bremen ziehen. Und ich bin sowieso selber schuld an meiner Krankheit. Mareike M. rafft sich auf, geht zur psychotherapeutisch angeleiteten Gruppe im Frauengesundheitszentrum.

„Am Anfang haben wir dagegen angearbeitet, daß die Frauen so mit sich ins Gericht gehen“, erzählt Ursula Kappelhoff, Psychotherapeutin beim Frauengesundheitszentrum. Doch sie merkten: Neben dem „Selbstachtungsbaum“, an den die Frauen ihre Erfolge wie Früchte malen, ist auch das „Schuldenkonto“ notwendig. Dabei schreiben die Frauen alles auf, von dem sie meinen, daß sie es falsch gemacht haben. Und sie entdecken: Hinter manchem Schuldgefühl steckt ein berechtigter Vorwurf gegen andere. Statt sich vorzuwerfen, sich nicht genügend um die Kinder zu kümmern, fordert Mareike M. nun ihren Mann. dazu auf

Selbst wieder zu bestimmen und alte Lebenswünsche wiederzuentdecken, das geht nur in kleinen Schritten. Und so sind es oft simple Dinge und gar nicht die Weltreise, die sich die Frauen wünschen: Mareike M. zum Beispiel möchte endlich ihrer Mutter sagen können, daß sie sie nicht mehr zum Kegelabend fahren will.

Oft unerfüllbar aber der Wunsch, wieder ganz heil zu werden. „Was wollten Sie schon immer in Ihrer Wohnung verändern? Tun Sie es“, sagt Ursula Kappelhoff dann. Das macht Sinn: Der Körper ist kein Nest mehr, umso wichtiger, es sich draußen, in der Wohnung, gemütlicher zu machen. Die Todesangst überfällt Mareike M. natürlich trotzdem immer mal wieder. Wenn sie sich nur mal einen Moment ausruhen könnte! Doch die klassische Entspannungtechnik, das Autogene Training, arbeitet mit dem Schweregefühl, fordert auf, sich fallenzulassen. Schwer und eine Last ist Krebskranken ihr Körper aber ohnehin schon, und noch tiefer wollen sie sich keinesfalls fallenlassen. Die Psychologin bietet lieber einfache Anspannungs-Entspannungsübungen an, Phantasiereisen sowieso.

Brustkrebskranke sitzen oft ganz verschränkt da. Dann läßt die Psychologin die Frau die Hand auf die Schulter einer anderen legen, sie stützen. Nur das. Und die Kranke macht die beglückende Erfahrung: Ich kann heilen, ja, es gibt noch was Heiles an mir.

Aber es heißt auch Abschied nehmen: von einem Stück Leistungsfähigkeit, von bestimmten Schönheitsidealen, von einem Körperteil, von einer anderen Krebskranken. Ein wenig leichter geht das, wenn man die Trauer symbolisiert. Als eine Teilnehmerin plötzlich starb, hat Ursula Kappelhoff sich an ein Ritual gewagt: „Jede schrieb auf einen Zettel, was sie der Verstorbenen noch sagen wollte, im positiven wie negativen Sinn. Die Frauen stellten nacheinander ein Teelicht in eine Schale, lasen den Zettel vor und verbrannten ihn dann. Die Asche verstreuten wir draußen.“ Das war auch traurig. Aber auf jeden Fall besser als die bodenlose Angst nach der Todesnachricht. Christine Holch

Zur Zeit gibt es trotz Bedarf keine angeleitete Gruppe beim Frauengesundheitszentrum, nur noch Einzelgespräche: Der Senat hat die Zuschüsse um ein Drittel gekürzt. Die Krankenkassen zahlen ohnehin nicht, obwohl eine US-Langheitstudie belegt, daß die Teilnahme an begleiteten Gesprächsgruppen lebensverlängernd wirkt.

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