: SPD mit neuem Chef
■ Sonderparteitag wählt heute Detlef Dzembritzki zum neuen Landesvorsitzenden / Abstimmung über PDS-Beschluß
Für die Berliner SPD beginnt heute die Vorweihnachtszeit. Wenn die Delegierten um 17 Uhr im ICC auf einem Sonderparteitag zur Wahl eines neuen Landesvorsitzenden zusammenkommen, sind sie vor bösen Überraschungen gefeit. Die Partei hat sich diesmal eine Versöhnungskur verabreicht. Schon im Vorfeld einigten sich die Flügel auf den Reinickendorfer Bürgermeister Detlef Dzembritzki. Der 51jährige leitet seit Ditmar Staffelts Rücktritt kommissarisch die Partei. Angesichts des offenkundigen Willens, diesmal nichts anbrennen zu lassen, ist die Gegenkandidatur des 26jährigen Jungsozialisten Daniel Buchholz nur noch ein Schönheitsfehler für die Parteiregie. Der Student wird kaum mehr als die Rolle eines demokratischen Feigenblatts in einer ansonsten festgeschriebenen Ein-Mann-Show spielen.
Nicht ohne Grund fiel die Wahl auf Dzembritzki. Der gelernte Sozialpädagoge gehört zwar dem linken Flügel an, gilt aber als verbindlicher und pragmatischer Mann. In der künftigen SPD-Troika – mit dem gemäßigt rechten Fraktionschef Klaus Böger sowie mit Walter Momper oder Ingrid Stahmer als SpitzenkandidatIn – bliebe Dzembritzki die Funktion eines Mittlers. Die Basis besänftigen, gegenüber der Fraktion vorsichtig drängeln – in diese Rolle ist Dzembritzki in den letzten Wochen mehr und mehr geschlüpft. So einigte sich der Landesausschuß, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, kürzlich im Streit um Landesschulamt und Bäderprivatisierungen auf Kompromißformeln. Dem Konflikt zwischen Fraktionschef Böger und der Basis wurde mit geschickter Verschiebetechnik eine Atempause verschafft. Die SPD-Abgeordneten wurden aufgefordert, Anfang nächsten Jahres einen Bericht zum Landeschulamt vorzulegen, und der Senat gedrängt, in Abstimmung mit den Bezirken bis Februar ein Konzept zur Neuordnung der Bäder zu suchen.
Unter Dzembritzkis kommissarischer Leitung wurde der Partei auch in der PDS-Diskussion ein vorläufiger Riegel vorgeschoben. „In Berlin wird es mit der SPD keine Regierungsbildung geben, die in irgendeiner Weise von den Stimmen der PDS abhängig ist“, lautet ein Beschluß des Landesvorstandes, über den heute abend die Delegierten entscheiden sollen. Es dürfte der einzige spannende Punkt dieses Abends werden. Denn die Präzisierung des Antrags, die eine Koalition ebenso ausschließt wie die Tolerierung einer SPD-geführten Minderheitsregierung, ist bei einigen Kreisverbänden, wie etwa in Mitte oder in Kreuzberg, keineswegs unumstritten. In der jetzigen Form stärkt der PDS-Antrag die Rolle der Spitzenkandidaten Momper und Stahmer. Beide lehnen jede Zusammenarbeit ab. Daß der Parteilinke Dzembritzki den Beschluß mitträgt, offenbart das Selbstverständnis, mit dem er den in Selbstzerfleischung geübten Landesverband führen will: möglichst harmonisch. 1995 ist schließlich Wahljahr. Severin Weiland
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