: Vor der Wurst zu Kreuz gekrochen
■ Zu tief, zu hoch, zu breit - die Arbeit am Frischetresen macht kaputt
Vor der Wurst zu Kreuz gekrochen
Zu tief, zu hoch, zu breit – die Arbeit am Frischetresen macht kaputt
Rund 2.000 Bedienungstheken quälen im Bremer Land das Verkaufspersonal und schädigen die Angestellten im Lenden- und Halswirbelbereich. 20 Krankheitstage pro Verkäuferin sind der Jahresschnitt. Da geht es um die Wurst – und die heißt „Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen“, findet Arbeitssenatorin Uhl. An diesem Zipfelchen greift eine neue Broschüre „Arbeiten an Bedienungstheken“ der „Hauptfürsorgestelle“ ihres Ressorts an, die gemeinsam mit der Gewerbeaufsicht herausgegeben wird.
Das Anforderungsprofil für Thekenarbeitsplätze allerdings, das auf Kosten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz entstand, ist kaum mehr Wert als das Glücks-Plätzchen aus dem Kaufhaus: „Wir beschreiben das Problemfeld, nicht die Problemlösung“, sagte denn auch Mitverfasser Jürgen Jahn von der Gewerbeaufsicht: Es gibt keine gesetzliche Handhabe, die gesundheitserhaltenden Änderungen auch durchzusetzen.
Dabei hat sich das Gewerbe drastisch gewandelt. Wo einst große Fleischermeister ganze Viecher zerlegten, drängen sich heute Frauen: Hinter den Wursttresen der Supermärkte stehen Fleischerei-Fachverkäuferinnen, bisweilen auch mit dem Hackfleischbefähigungsnachweis ausgerüstet. Sie sind körperlich kleiner als die männlichen Kollegen vom blutigen Berufsstand der Metzger, dem Handwerk mit Nachwuchssorgen. Doch die Konstruktion der gekühlten Glasvitrinen, in denen von der Keule bis zum Kräuterkäse fast alles zu finden ist, richtet sich bislang nach der maskulinen Durchschnittsgröße – und nach den Verkaufsinteressen der Unternehmen. Die werden buchstäblich auf dem Rücken der Angestellten ausgetragen.
Für die Frauen nämlich ist die Arbeitsplatte meist zu breit, um darüber hinweg in den Kühlbereich zu greifen – die Dehnübung gehört zwangsweise zum Arbeitsablauf. Auch die Waage steht unverrückbar im Weg – und am Ende eines Tages kann die Verkäuferin ihre Arbeitsleistung in gestemmten Kilogramm Ware ermitteln – so hoch ist die Warenablage angebracht.
Eine sofortige Verbesserung dieser Misere ist derzeit allerdings noch nicht in Sicht. Zu gutgemeinten Appellen seitens des Ressorts „Frauen und Arbeit“ gesellen sich ebensolche Absichtserklärungen der Unternehmen. Ganz vorne die Comet-Kette: „Wir werden bei Umbauten unserer Läden zukünftig die neu vorgeschlagenen Maße einhalten“, versprach der Chef von Comet Nord, Klaus Lüdemann.
ede
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