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Natural Born Hausbesetzer

■ Heute im Lagerhaus: „Blutgeil – Zurich Cop Eaters“, eine berüchtigte Splatter-Satire

Wenn ein etablierter Regisseur wie Oliver Stone nit einer pfiffigen Satire wie „Natural Born Killers“ den langweiligen Mainstrean-Trott ein Schnippchen schlägt, bekommt die unheilige Dreifaltigkeit aus CSU, Sozialdemokratlnnen und „Bild“-Zeitung das schnell spitz und krakeelt noch vor Sichtung des Films nach Verbot. Um No-Budget-Produktionen, wie sie zuhauf in Kellern und Wohnzimmern Videobegeisterter entstehen, kümmert sich die selbsternannte Moral Majority (gottlob, Anm. d.Red.) kaum. Zumindest hierzulande; in der Schweiz ist man da gründlicher.

In November letzten Jahres wußte eine Gruppe Bewohnerlnnen des besetzten Wohlgroth-Geländes nahe des Zürcher Bahnhofs gar nicht, wie ihren geschah. Zu vorgerückter Stunde stürmten 33 Polizisten ohne Vorwarnung ihr Quartier, zerrten sie hei laufender Kamera aus den Betten, beschlagnahnten jeden greifbaren Gegenstand, steckten sieben Leute für einen Tag in Einzelhaft und verwiesen einen ausländischen Gast des Landes. Stein des Anstoßes war das 25minütige Anateur-Video „Blutgeil aka Zurich Cop Eaters 4“, das heute abend im Lagerhaus zu sehen sein wird.

Das mit viel Herz und wenig Geld von den Besetzerlnnen gedrehte Filmchen erzählt die Geschichte zweier Polizisten, die ausziehen, ihre Kameraden zu rächen, welche bei ihrer Vereidigungsfeier von einer drogensüchtigen Terroristin in die Luft gesprengt wurden. Brutal prügeln und schießen sie sich durch die Junkie-Szene, bis sie auf eine Gruppe Hausbesetzerinnen treffen, die noch blutgeiler sind als sie selbst. Schließlich verspeisen diese die Staatsdiener.

Der Film ist klar als Satire erkennbar und ruft keineswegs zum Polizistenessen auf. Ebenso wie die Polizisten als spinnerte Spießer dargestellt werden, sieht man die Besetzerlnnen als verlotterten Haufen, dessen Lebensinhalt aus Saufen und Kiffen besteht. So parodiert der Film die Klischeevorstellungen, die die beiden Gruppen voneinander haben, sowie die Gepflogenheiten des Splatter-Genres, das ja gerne auf derartige Stereotypen zurückgreift.

Die Schweizer Gesetzgebung mag davon nichts wissen. Dort besagt der sog. Brutalo-Artikel, daß Gewalt gegen Menschen und Tiere nicht filmisch dargestellt gehört. Jetzt droht den MacherInnen eine viermonatige Haftstrafe, weil sie Gewalt nicht nur dargestellt, sondern deren Darstellung auch vertrieben haben – sie verschicktenAnsichtsexemplare an die Presse.

In der Schweiz wurde „Blutgeil“ zum Politikum. Mit Schlagzeilen wie „Die Chaoten zeigen ihr Gesicht“ trat die Boulevard-Presse den Fall breit; die Polizei benutzte den Film, um Schulkindern zu zeigen, „wie schlimm diese Besetzer“ seien.

Derweil schlägt sich internationale Prominenz auf die Seite der Unverstandenen. Darunter u.a. der Schweizer Genital-Künstler und „Alien“- Erfinder H. R. Giger und der US-amerikanische Regisseur John Waters, der ewige Schutzpatron aller Trashfilmer, der die Schweizer Behörden anherrschte: „Erkennt iIr Kunst nicht, wenn ihr sie seht?“

Ab 20 Uhr kann nan heute im Lagerhaus selbst sehen, ob da Kunst zu erkennen ist, oder ob Leute, die sowas machen, eingekerkert gehören. Im Anschluß an den Film gibt es eine Autorenlesung aus den literarischen Schaffen der Macher.

Andreas Neuenkirchen

Heute ab 20 Uhr im Bremer Lagerhaus-Cafe, Schildstr. 12

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