■ Rudolf Augstein und die außenpolitische Debatte
: Frieden mit sich selbst

Es ist ja schon zum publizistischen Allgemeingut geworden, daß jene, die dafür einstehen, am Ende des 20. Jahrhunderts Genozid, Vertreibung und Annexion aus dem politischen Repertoire zu bannen, lächerlich oder unglaubwürdig gemacht werden. Dahinter steht die durchaus ernstzunehmende Angst, Deutschland würde via Nato gezwungen sein, militärisch in den Krieg auf dem Balkan einzugreifen. Die zivil-demokratische Gesellschaft versucht sich vor dieser Herausforderung abzuschotten. Auch nicht das Argument, daß diese Politik eher dazu dient, im Frieden mit sich selbst zu bleiben und keineswegs jenen eine Hilfe ist, die dringend auf unsere Unterstützung warten, hat diese Haltung aufbrechen können.

Störende Erkenntnisse zuzulassen würde dann nur schaden. Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein warnt jetzt – und darin ist er ausnahmsweise mit vielen Intellektuellen, Militärs und Politikern einer Meinung – „vor einer Verwicklung in einen undurchsichtigen Konflikt“. Nach über drei Jahren Krieg im ehemaligen Jugoslawien scheint es dem Herausgeber des größten deutschen Nachrichtenmagazins immer noch nicht klar zu sein, worum es im bosnischen Kriege eigentlich geht. Als ob Milošević oder bis vor kurzem Tudjman verborgen hätten, die Aufteilung des bosnischen Staates und seiner Gesellschaft anzustreben und die europäischen Muslime aus Europa zu vertreiben. Daß in Bosnien sich zwei grundlegende Prinzipien bekämpfen, wird mit dem Terminus „sinnloser Krieg“ verwischt: das Prinzip des auf Blutsverwandtschaft aufgebauten Nationalstaats und das Prinzip der multikulturellen, toleranten Gesellschaft nämlich.

Die deutsche Gesellschaft muß sich in der Tat entscheiden, wofür sie steht. Für das Abseitsstehen oder dafür, Verantwortung zu übernehmen. Die Bewältigung der Vergangenheit zeigt sich wohl erst darin, ob dann, wenn es darauf ankommt, Werte menschlichen Zusammenlebens wie Toleranz, Demokratie, Völkerrecht und Menschenrechte gegenüber dem Prinzip der Klassifizierung unwerten Lebens und dessen Ausrottung verteidigt werden. Das kann militärische Mittel einschließen. Muß es in diesem Falle sogar. Das „klassische Verteidigungsbündnis Nato“ ist gefordert, sich neu zu definieren, und nicht wie Augstein meint, „auf die ursprüngliche Aufgabe zu besinnen“.

UNO und EU sind bisher gescheitert, weil lediglich auf der Grundlage des nationalistischen Prinzips ge- und verhandelt wurde (alle Kriegsparteien sind gleich etc.). Mit dieser Politik konnte den Bosniern in der Tat „nicht geholfen werden“. Und unserer Gesellschaft letztlich auch nicht. Denn wer hat etwas davon, wenn ein neuer Totalitarismus in Europa sich seine Bahn gebrochen hat? Erich Rathfelder