Eigentlich ohne Schlußlacher

■ "Der Golem aus Lemgo": Heinz Rudolf Kunze geht mit seinem literarischen Programm quasi back to the roots - und auf Tour. Garantiert mörderpointenfrei!

Schlager wie „Dein ist mein ganzes Herz“ hin oder her – aus seiner Vorliebe für Literatur – und zwar gute! – hat Heinz Rudolf Kunze, Literaturpreisträger der Stadt Osnabrück, nie einen Hehl gemacht. Mit „Der Golem aus Lemgo“, nach „Sternzeichen Sündenbock“ (1991) die zweite Literatur-CD, geht er gewissermaßen back to the roots.

Eine Literaturplatte von Heinz Rudolf Kunze – da lachen doch alle hinter der Gitarre hervor, und du bist endgültig der Lehrer...

Der Begriff Oberlehrer ist eigentlich in den letzten Jahren etwas inhaltlich entleert worden, entweder wurde er gar nicht mehr verwendet oder ersetzt durch die Begriffe Rockintellektueller oder Rockhirnie. Leute, die sich von dem Begriff Oberlehrer immer noch nicht abbringen lassen, geben dadurch einfach nur preis, daß sie sich mir unterlegen fühlen, weil ich einfach mehr weiß über dieses Geschäft als sie. Darunter müssen die leiden und nicht ich, ich hab's nun mal (lacht).

„Der Golem aus Lemgo“ heißt deine neue Platte. Die deutsche Kleinstadt taucht bei dir ja immer wieder auf – zynisches Stilmittel?

Nein, gar nicht zynisch, eher liebevoll. In diesem Fall habe ich gar keine persönlichen Connections zur Stadt Lemgo. Es war ein reiner Kalauer. Lemgo ist für mich ferner ein Synonym für typisch Deutschland. Deutschland ist eben nicht New York und nicht Rom, Paris, Los Angeles, sondern Lemgo, Detmold, Herford, Augsburg. Und das hat nicht nur Nachteile.

Du selbst wohnst klassisch auf dem Dorf, und wahrscheinlich sind die Nachbarn nicht durchweg Punkrocker...

Aber es gibt ein paar.

Echt?

Ja, die Scorpions wohnen direkt um mich herum. Ich habe nicht danach meinen Wohnsitz ausgesucht, aber als ich mein Haus dann gekauft hatte, stellte ich fest, daß um mich rum zwei Scorpions wohnen.

Ist es bei der neuen Platte so, daß du die Leute erst mal fängst mit deinem Namen und ihnen dann subtil die Inhalte reinhaust?

Nein, glaube ich nicht. Wir haben ja vor der Tour vier Testauftritte gemacht, und da wurde ganz sachlich mit dem Programm geworben, so wie es eben heißt: „Der Golem aus Lemgo, das zweite literarische Programm“. Und die Leute haben sich nicht hereingelegt oder veralbert gefühlt, weil sie etwas anderes erwartet hätten. Es war stets ein extrem kammermusikalisches Erlebnis, Menschen, die in bestuhlten Räumen hochaufmerksam saßen, glucksten und kicherten, wenn es was zu kichern gab...

Aber ganz besonders lachten bei etwas banalen Dingen...

...und sich verschluckten, wenn es etwas laut zu lachen gab.

Aber die größten Lacher kommen bei Passagen über Lkw-Fahrer, die ihre Namen auf Nummernschilder gravieren oder ähnliches. Gerade dann wird besonders gejuchzt, weil man das unmittelbar versteht. Denkt der Künstler dann nicht, schade, hoffentlich verstehen sie den Rest genauso, oder gönnt man ihnen diesen Schenkelklopfer?

Man gönnt ihnen das, ich verstehe es so, daß die Leute in diesem Moment, wenn ich zum Beispiel sage, Lkw-Fahrer haben Schilder an ihrer Frontscheibe, die „Uwe“ oder „Bernd“ heißen, sich dann freuen und irgendwie erleichtert sind, daß dieser komische Mensch, der da vor ihnen sitzt...

...sich auch die Zähne putzt?

Genau, daß er Wahrnehmungen hat, die sie auch machen, also ein erleichtertes Wiedererkennungserlebnis. Es unterläuft einem in den Texten als Punkt, von dem man ahnt, daß gelacht werden könnte, und ich freue mich, wenn mir so was gelingt, weil ich voraussehen kann, daß die Leute das komisch finden könnten. Also genau planen kann man's nicht, aber so ein gewisses Händchen bekommt man im Laufe der Jahre für Pointen, auf die etwas zuläuft. Meine grundsätzliche Schwäche ist es nur – ich weiß aber nicht genau, ob es eine Schwäche ist, Monthy Python haben es immer genauso gemacht –, daß die Texte nie mit einem Endknaller enden, sondern daß das Ende immer ein abruptes Herausreißen aus einer Stimmung ist, eigentlich ohne Schlußlacher.

Aber man merkt dem Publikum schon die Lust auf die Schluß-Super-Mörderpointe an, manchmal wird so beherzt Schenkel geklopft, da freuen sich alle und denken, klasse, ich hab's begriffen, dann kommt aber zur Verwunderung aller noch ein kurzer Satz.

Das mit der Mörderpointe mache ich nicht, das kann ich auch nicht. Ich unterhalte Leute gerne etwas anstrengend, ich erwarte ein gewisses Maß an Mitarbeit, klar...

Da ist wieder der Lehrer: „mündliche Mitarbeit...“

Nein, warum ist das jetzt unbedingt ein Lehrer? Warum sagst du jetzt nicht ein Erfinder oder ein Forscher, der die Leute auf eine Fahrt mitnimmt. Das Wort Lehrer ist in Deutschland derart haßerfüllt besetzt, so negativ und so mit Scheiße beschmiert. Bei einem modernen Maler, der sich mit seinem Pinsel merkwürdig benimmt, braucht man doch auch manchmal eine gewisse Gebrauchsanweisung, um zu verstehen, was er gemeint hat. Und deswegen ist er doch nicht unbedingt ein Lehrer, der Leuten etwas ins Hirn hämmern will.

Ja, und hämmern ja eigentlich auch nicht, ich finde, du klopfst oder pochst eher vorsichtig.

Ja, es ist nur ein Angebot.

Auf dem Cover sieht man Lautsprecher oder Gegensprechanlagen, Kommunikationsmittel. Ist das eine Metapher für dieses subtile Dann-doch-eine-Message-ins- Hirn-Ballern?

Was heißt eine Message? Ich habe viele Messages, viele kleine Ideen, die ich gerne transmitten möchte. Ich habe auch kein „Lernziel“. Ich erwarte nur, daß die Menschen ein gewisses Maß an Kraft und an Vitalität, an innerer Spannungsbereitschaft mitbringen, um dem zu folgen, was ich da abziehe.

Die Pointen liegen für mich immer gar nicht so sehr in den neuen Wortkreationen, sondern vielmehr in dem brutalen Durchdeklinieren theoretisch gewöhnlicher Worte. Durchaus affin zu Max Goldt sagst du eben nicht „vorne im Auto, da wo man drin sitzt“, sondern benutzt das wenig harmonische Wort Kraftverkehrsteilnehmerzelle oder sprichst anklagend über „zweifelhafte Nagellacke“.

Max Goldt, den ich sehr verehre, kommt ja auch nicht aus Berlin, wo er lebt, sondern er kommt aus der Provinz. Ich glaube, er ist ein gebürtiger Göttinger. Ich finde, die deutsche Sprache hat einen wunderbaren Fundus an Kuriositäten, die einfach nur wenn man sie bewahrt, wenn man in diesem Sinne konservativ ist, äußerst ergiebig ist. Man muß einfach nur, wie du richtig sagst, manche Sachen zu Ende denken, wie sie schon im Wort angelegt sind, dann ist das schon sehr komisch.

Das Gespräch führte

Benjamin von Stuckrad-Barre

14.12. Bremen, 16.12. Berlin, 17.12. Potsdam, 19.12. Kassel, 20.12. Rheda-Wiedenbrück, 21./22.12. Hamburg, 10.1. Frankfurt/M., 11.1. Unna, 12.1. Betzdorf, 13.1. Gerolstein, 14.1. Chorweiler, 15.1. Celle, 20.1. Detmold, 25.1. München, 26.1. Alteiselfing, 28.1. Mülheim, 29.1. Hildesheim, 4.2. Gotha, 5.2. Jena, 6.2. Wolfenbüttel, 8.2. Kiel, 9.2. Waltrop, 10.2. Kevelaer, 11.2. Menden, 12.2. Hannover.