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Point 'n' clickBißchen Echtzeitstreß

■ Wir basteln uns ein Revolverblatt: Das Computerspiel „Mad News“

Schlagzeilen gibt's schon:

Menschen explodieren in Leipzig, Jena und Halle! Eiffelturm umgefallen!

Ansonsten ist dein frisch geerbtes Blättchen am Anfang von „Mad News“, dem Revolverpresse-Simulator von Ikarion, etwa so aufregend wie die aktuelle Ausgabe der Bäckerblume. Mausgesteuert tigert die „Mad News“-Spielfigur durch die Gänge eines ausrangierten Ozeandampfers. Es gibt nicht nur Presseagenturen an Bord, die siedendheiße Nachrichten und extraschmierige Stories anbieten, sondern auch Agenturen, wo man redaktionelle Essentials, die die Leser-Blatt- Bindung befördern, abonnieren kann: wie etwa Kochrezepte, Kreuzworträtsel, Comics oder den aktuellen Wetterbericht. Daß das alles nebst laufenden Unkosten für Druckerei und Vertrieb seinen Preis hat, versteht sich von selbst – das minimale Startkapital, das sich nur mählich durch die verkaufte Auflage und das Anlandziehen lukrativer Werbeanzeigen vermehrt, will ergo klug investiert sein. Es gilt immerhin, täglich sechs Zeitungsseiten mit Beiträgen zu füllen.

Bremer ißt statt Wurst lebende Wellensittiche!

Die Zeitung, die am nächsten Morgen an den Kiosken ausliegt und von repräsentativen, in einem Extra-Fenster gezeigten Kunden kritisch beurteilt wird, muß auf dem Redaktions-Laptop etwas anarchisch und nicht so realitätsnah zusammengestrickt werden. Ein im Lieferumfang enthaltenes drolliges DTP-Programm versetzt den Spieler in die Lage, jede Seite nach eigenem Gusto zu gestalten, das heißt, er kann nicht nur Textspalten und Fotos, Kolumnen, Rubriken und Werbeanzeigen frei plazieren, sondern sogar die Größe der Schlagzeilen einstellen. Das so kreierte Werk läßt sich sogar lesen – alle Meldungen sind voll ausformuliert – und zwecks späteren Ausdrucks abzuspeichern.

Hausfrau hat 29 Jahre nicht saubergemacht!

Ein bißchen Echtzeitstreß beim zeitgerafften Arbeitstag muß sein: Dem umtriebigen Blattmacher sitzen knallharte Deadlines im Nacken. Zwei Stunden nach Arbeitsbeginn geht jeweils eine Seite in Druck, egal ob das Layout steht oder nicht. Vergißt man beispielsweise, den Aufmacher rechtzeitig zu setzen, erscheint am nächsten Morgen eine leere Titelseite. Sehr zum Mißvergnügen der nach fettlettrigen Sensationen gierenden Leserschaft.

Tübinger Buchhändler wachsen Riesenzähne!

Die Auflage in astronomische Höhen zu pushen und so seine zwei digitalen Mitkonkurrenten aus dem Feld zu schlagen ist das Hauptziel dieser im Comic-Outfit daherkommenden satirischen Wirtschaftssimulation. Erzielte Profite reinvestiert man in den Ausbau des Vertriebsnetzes bzw. eine immer perfekter gemachte Zeitung. Da auf die mit Nachrichtenagenturen verbundenen Faxgeräte im News-Raum auch die Konkurrenzgazetten Zugriff haben, übergibt man vielversprechende Meldungen einem Journalisten im Reporter- Raum nebenan, der gegen üppiges Vorab-Honorar eine Vorort-Recherche in Angriff nimmt. Im Erfolgsfall mutieren vage Gerüchte um angeblich quicklebendig gesichtete tote Rocklegenden, unheimliche Klo-Morde in Bielefeld oder unerklärlicherweise in Ostdeutschland explodierende Menschen am nächsten Morgen zu ebenso exklusiven wie absatzfördernden Skandalenthüllungen.

USA will Bundeswehr kaufen – fairer Preis!

In „Mad News“ sind mehrere hundert Nonsens-Meldungen integriert, die in Zusammenarbeit mit dem berühmt-berüchtigten Satiremagazin Neue Spezial entstanden sind, das es sich sozusagen zum Ziel gesetzt hat, das Yellow-press-Universum durch frei erfundene Megadoof- Berichte zur Implosion zu bringen.

Putzi von Opel von eigenem Pelzmantel getötet!

Dieses Endlager an völlig durchgeknallter Zeilenschinderprosa ist allerdings auch das mit Abstand Beste an „Mad News“. Das Game selbst hat eher Mühe, den Spieler auf die Dauer bei der Stange zu halten. Allzu rasch nämlich artet – nach furiosem Beginn – das alltägliche Blattmachen in immergleiche Rasende-Redakteurs-Routine aus. Der Suchtfaktor des Vorgängers „Mad TV“, wo man eine marode vor sich hinvoxende Fernsehanstalt zum landesweiten Einschaltquotenmulti hochmanagen mußte, wird trotz weitgehend identischem Gameplay nur ansatzweise erreicht. Zufallsereignisse und/oder kleinere Katastrophen zur Auflockerung des späteren Spielverlaufs fehlen ganz – warum werden mir keine gekujauten Hitler-Tagebücher angeboten, wo bleibt der sich in die Redaktion einschleichende Undercover-Wallraff? Ulrich Hölzer

Mad News (Ikarion). Ca. 120 Mark.

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