piwik no script img

Die Hundertmilliardenschuldenfalle

Opposition kritisiert in Haushaltsdebatte Waigels „Mogelpackung“/ Bund macht pro Minute 340.000 Mark neue Schulden/ Für den Umweltschutz gibt es nur 1,4 Milliarden  ■ Aus Bonn Hans Monath

Für Theo Waigel begann der Tag wunderbar. Mit tausend guten Wünschen vom politischen Gegner. Die ersten Rednerinnen von SPD und Bündnisgrünen gratulierten dem Finanzminister zu seiner Heirat mit Ingrid Epple.

Dann aber hagelte es Kritik. Die Opposition nahm den Bundesfinanzminister und seinen rund 480 Milliarden Mark umfassenden Bundeshaushalt für das Jahr 1995 auseinander.

„Duchwursteln ist die Devise“, bescheinigte SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier der Regierung und warf ihr vor, sie habe die Chance zur Neuordnung nicht genutzt und auf keine der drängenden Fragen eine Antwort gefunden. So habe der Finanzminister keine Haushaltsmittel zugunsten von Zukunftsinvestitionen umgeschichtet, die öffentlichen Haushalte nicht konsolidiert, zum Familienlastenausgleich nur unzureichende Vorschläge gemacht und auch bei der Freistellung des Existenzminimums keine tragbare Lösung geplant.

Den Etat des sogenannten Zukunftsministeriums, so kritisierte die SPD-Sprecherin, habe die Regierung entgegen allen Erwartungen nicht erhöht. Real nehme der Etat des neuen Ministers Jürgen Rüttgers (CDU) gegenüber denen der bisherigen Einzelministerien sogar ab.

Auch mit dem Regierungsentwurf zur steuerlichen Entlastung von Familien mit Kindern zeigte sich Matthäus-Maier nicht zufrieden. Weiterhin würden Spitzenverdiener gegenüber einkommensschwachen Steuerzahlern begünstigt, kritisierte sie. Auch behandle die Regierung die Steuerflucht von Milliardenbeträgen wie ein Kavaliersdelikt, während sie in der Mißbrauchsdiskussion die Aufmerksamkeit der Öffentlichket nur auf kleine Sozialhilfeempfänger lenke.

Als gefährlich stufte die SPD- Finanzexpertin Pläne der Regierung ein, die Gewerbesteuer abzuschaffen und damit ein neues Haushaltsloch von 30 Milliarden Mark aufzureißen. Das zuzuschütten müßte entweder die Mehrwertsteuer deutlich erhöht oder aber die ohnehin hohe Belastung der einzelnen Steuerpflichtigen weiter angehoben werden. Der Bund, der pro Minute 340.000 Mark neue Schulden aufnehme und 280.000 Mark Zinslasten für alte Schulden zahlen müsse, stecke in einer „Hundertmilliardenschuldenfalle“, die immer mehr die politische Handlungsfähigkeit zu erdrosseln drohe.

Die Abgeordnete Christine Scheel von Bündnis 90/Grüne hielt Theo Waigel vor, mit einer ähnlich unsoliden Bilanz angesichts von 1.400 Milliarden Schulden „säße jeder kleinere Unternehmer vor dem Kadi“. Zur Finanzierung der dringend gebotenen Reformen sei „ein Kassensturz ohne Schönfärberei“ nötig, finanzielle Lasten dürften nicht weiter auf die föderale Ebene verlagert werden. Als bezeichnend für die Prioritätensetzung dieser Regierung wertete es die Grünenabgeordnete, daß im neuen Haushalt nur 1,4 Milliarden Mark für Umweltschutz vorgesehen seien.

„Der Konsolidierungskurs greift“, hatte der CSU-Finanzminister zuvor seine eigene Arbeit gelobt. Die Neuverschuldung im laufenden Haushalt, so rechnete er vor, werde mit 55 Milliarden Mark nicht nur zehn, sondern sogar 13 Milliarden Mark unter der Planung liegen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen