: Warenhaus mit Gleisanschluß
■ Der Bahnhof Zoo hat sich zu einer Shopping-Meile mit 2.000 Quadratmetern Verkaufsfläche gewandelt / Warteräume fehlen, und Obdachlosen wird gekündigt
Seit gestern präsentiert sich der Bahnhof Zoologischer Garten im Einkaufs-Look. Und gar nicht mal schlecht. Zugige Ecken und muffelige Gänge mit ein paar wenigen, dunklen Kiosken sucht man in der Eingangshalle vergebens. Nein, „der Bahnhof Zoo empfängt die Reisenden mit neuem Gesicht und mehr Service“, wie Peter Reinhard, Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG, sagte. Nach der Fertigstellung des ersten Bauabschnitts für rund 16 Millionen Mark wurden Läden in zwei kleinen Passagen im Mitteltrakt – wo sich früher die Fahrkartenschalter befanden – und entlang der Hardenbergstraße eingerichtet. Ein „Service-Point“ mit „Wir-sind-für- Sie-da-Damen“, zwei Bildschirm- Fahrpläne und „Info-Riesen“, vier Meter hohe Stahlkameraden mit guten Tips, vervollständigen das Umbaukonzept.
Das „Warenhaus mit Gleisanschluß“, wie Bahn-Chef Heinz Dürr sich einmal die Zukunft der Bahnhöfe ausmalte, besteht am Zoo aus 2.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Durch die Modernisierung entstanden 23 Geschäfte für Lebensmittel und Kleidung sowie Blumenhandlungen, eine Apotheke, „Schikkus-Souveniers“, ein Friseur- und Fotoladen, Gastronomien, Luxus-Imbisse, Bratereien und Fast-food-Pizzerien. „Die Berliner und ihre Gäste erhalten von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends alles: vom frischen Brötchen bis zum Blumenstrauß“, jubilierte Reinhard. Wer nach der Reise erst einmal einkaufen müsse, könne das gleich am Zoo tun.
Das strahlende Gesicht des Bahnhofs, an dem täglich 280.000 Menschen sich auf Nah- und Fernreisen begeben, hat auch seine Schattenseiten: Das rentable Dienstleistungskonzept (die Bahn verlangt als Mindestmiete 80 bis 100 Mark pro Quadratmeter) geht auf Kosten der Reisenden selbst sowie der „Szene“ vom Zoo. Keine direkte Wegeverbindung zwischen S- und U-Bahn, ein schlechter Schließfach-Service, aber vor allem ein fehlender Warteraum sind dem Marketing geschuldet. In einem zweiten Bauabschnitt, 1995/96, so Reinhard, wolle man prüfen, ob im ersten, „doch recht beengten“, Obergeschoß zusätzliche Reise-Services eingerichtet werden können.
Besonders hart trifft der nette Bahnhof die Stricher und Obdachlosen, Drogenabhängigen und Trunkenbolde, deren traditionelles Terrain der Bahnhof und sein Umfeld war und noch ist. Weder findet sich in dem „Warenhaus“ Platz für eine soziale Einrichung (wie etwa am Hauptbahnhof), noch wird das Gewohnheitsrecht Obdachloser zum Übernachten weiterhin geduldet. „Der Bahnhof kann keine Sozialstation und kein Sammelbecken für Stricher sein“, erklärte Martin Lepper von der Bahn AG. Vielmehr müsse Ordnung in die bunten Hallen einziehen, die „nicht mehr staatlich“, sondern privatwirtschaftlich geführt würden. Man wolle zwar niemanden vertreiben, aber wer den Schlafsack auspacke oder in die Ecke pinkle, „gegen den wird eingeschritten“, so Reinhard. Rolf Lautenschläger
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