: Bosnien
■ betr.: „Bequemes und Unerträgli ches“ von Daniel Cohn-Bendit, taz vom 7. 12. 94
Die UNO leistet in Bosnien humanitäre Hilfe. Das geht, soweit die kriegführenden Parteien es gestatten. Wenn sie es nicht gestatten, bleibt nur der Abzug oder die Teilnahme am Krieg. Bis jetzt will noch kein Staat außerhalb des ehemaligen Jugoslawien auf der einen oder anderen Seite diesen Krieg führen. Soll Deutschland damit beginnen?
Eine Regierung, die in einen Krieg eingreift, muß vorher ihr Kriegsziel definieren, Kosten und Opfer dafür abschätzen und sich des Einverständnisses der Bevölkerung wie der verbündeten Staaten sicher sein. Deine Vorschläge, sind emotional verständlich. Aber auch unverbindliche außenpolitische Vorschläge wecken bei den Konfliktparteien verhängnisvolle Hoffnungen oder Befürchtungen.
Deshalb ist Dir, wie allen, die sich zur Außenpolitik äußern, zu empfehlen, vorher Henry Kissingers Buch „Diplomacy“ zu lesen, das deutsch unter dem Titel „Die Vernunft der Nationen“ erschien. Kissinger illustriert, mit europäischer Politik des 17. Jahrhundert beginnend, zu welchen Qualen unzureichende Analysen und unklare Kriegsziele führen.
Deutschland sollte sich anstatt durch Militäreinsätze, durch weltweite, intensive Konflikt- und Friedensforschung profilieren. Internationale Medien, die als neutral anerkannt sein müssen, könnten – mit finanzieller Hilfe aus Deutschland aufgebaut – die gewonnenen Erkenntnisse über Konfliktfelder, Kriegstreiber und Menschenrechtsverletzer verbreiten. Es ist noch schlimm genug, aber das Verbreiten der Nachrichten über die schlimmsten Greuel hat im ehemaligen Jugoslawien anscheinend einiges verhindert. So ist zu hoffen, daß mindestens die Wirksamkeit von Medien, die Konflikte schüren, aufzuheben ist. Dietrich Jahn, Hannover
Soso, also die „Pazifisten“ sind zu bequem, weil sie gegen das unerträgliche Leid in Bosnien nicht einmal acht lumpige Flugzeuge schicken wollen? Ich will Dir und all den anderen „Experten“ mal was sagen: Aus der Luft wurde noch nie ein Krieg beendet, nicht mal in Hiroshima, und gewinnen kann man auch nicht vom Flugzeug aus. Wer den Krieg in Jugoslawien beenden will, braucht Bodentruppen. [...]
Dieses Land, und all die anderen „Krisenherde“ der Welt befinden sich in einem Zustand, den man, ohne überheblich sein zu wollen, als Barbarei bezeichnen kann. Schmerz, Haß und Rache bleiben, auch wenn Waffen und Munition entzogen werden. Also muß die UNO, Nato oder KSZE, von mir aus der Vatikan, eine provisorische Regierung mitsamt funktionierender Verwaltung installieren, ausgestattet mit allen Kompetenzen und Mitteln, um eine zivilisatorische Grundlage für das Leben der Menschen zu schaffen. Natürlich ist das eine Form von Kolonialismus, aber so, wie die Dinge heute liegen, besteht die Alternative darin, einen Zaun um den Kriegsschauplatz zu ziehen und draußen zu warten, bis sich nichts mehr regt.
Einmischung kostet (nicht nur Geld) und dauert. So könnte es gehen, wenn man Soldaten fände, die tatsächlich „friedenschaffend“ tätig werden wollen, ohne die üblichen Begleiterscheinungen wie Plünderung und Vergewaltigung, wenn es gelänge, ein Oberkommando zu schaffen, in dem niemand sein eigenes Süppchen kocht, niemand sich bereichern will. Jede/r, der/die wie Du, offenbar immer noch von Golfkriegs- Videospielen fasziniert, uns irgendwelche „chirurgischen Eingriffe“ verkaufen will, kann sich auf allerlei berufen, aber nicht auf die Realität.
Natürlich ist das oben genannte Szenario unrealistisch, und natürlich ist alles andere gut gemeint und nicht ausreichend. Das ist bedauerlich, aber kaum zu ändern. Wie wäre es, wenn Du und die übrigen Gewissensbellizisten die Kraft, die Ihr braucht, um auf ehemalige Weggefährten einzuprügeln, dazu verwendet, zum Beispiel deutsche Waffenexporte zumindest zu erschweren? Statt dessen sorgt Ihr für einen möglichen Imagegewinn der Kommisköppe mitsamt ihrem High-Tech-Spielzeug! Das finde ich, bei allem Respekt vor dem Leiden der Kriegsopfer, auch „unerträglich“! Stefan Buchenau, Berlin
Die Einsatzspezifikation der von Dir so sehr hinfort-(nach Bosnien nämlich)gesehnten Tornados ist nicht etwa „elaborate children rescue“. Die Abkürzung ECR bedeutet vielmehr electronic combat reconnaissance. Diese Dinger sind dazu gebaut, Boden-Luft-Raketenstellungen aufzuspüren und zu vernichten. Es ist Dir vielleicht entgangen, doch von Einsätzen dieser Flieger (ob nun aus Deutschland oder nicht) im Rahmen einer Aktion zur Verteidigung bosnischer Zivilisten war nie die Rede. Fakt ist, daß sie dazu gedacht sind, eine eventuelle Evakuierung von UNO-Truppen auf dem Luftwege gegen Angriffe abzusichern. Die von Dir vermeintlich in Gang gebrachte Diskussion entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage. Keiner der Nato-Staaten hat vor, in einer ernst zu nehmenden Art in den „Bosnien-Konflikt“ einzugreifen, das heißt, dem Völkermord ein Ende zu setzen. Du solltest Dir vor Augen führen, daß es in Bosnien weder dringend benötigte Rohstoffe noch ernst zu nehmende Absatzmärkte gibt, also nichts, das es für die Nato lohnend scheinen läßt, dort tätig zu werden. Alte Loyalitäten einzelner Nato-Staaten gegenüber den am Völkermord schuldigen serbischen Cliquen tun ein übriges. Die Nato ist momentan voll und ganz damit beschäftigt, sich selbst zu retten. Was sind dem gegenüber schon ein paar 100.000 tote Zivilisten mehr oder weniger?
Vielleicht solltest Du Dir mit solchen humanitär-bellizistischen Ergüssen lieber die „Polit-Fiction“ als Tätigkeitsfeld suchen. Mit Analyse und Kritik der Realität hat Dein Artikel jedenfalls wenig zu tun. Uwe Müller, Berlin
Wunderbar liest es sich, wie Cohn- Bendit wiederholt eine moralinstrotzende Debatte über „humanitäre“ Blauhelm-, Nato- und Bundeswehreinsätze in Bosnien eröffnet. Zu verführerisch einfach klingt es ja auch, in aussichtslosen Situationen nach dem „starken Mann“ zu rufen, der einmal kurz auf den Tisch haut, eine paar Flugzeuge einsetzt, und alle Probleme sind gelöst.
Aber ob es wirklich so einfach ist? Was, wenn erst einige Flugzeuge der Nato abgeschossen wurden, wenn dann weitere Staaten in den Krieg verwickelt werden? Wenn der Krieg sich weiter ausdehnt? Selbst Militärexperten schätzen, daß mindestens 300.000 Mann notwendig wären, um Frieden in Bosnien zu schaffen – die dann über Jahre dort bleiben müßten, um diesen auch zu erhalten. Sarajevo soll am 31. 1. 95 nicht den 1.000sten Tag seiner Belagerung erleben? Dann lieber Dany, sag doch auch, wie Du dort Frieden schaffen willst! Mit bewaffneten Hilfskonvois ist es nicht getan: Was wirst Du tun, wenn auch diese angegriffen werden? Wenn auch Dein Angriff auf die serbische Befehlszentrale nichts bewirkt, außer den Krieg weiter eskalieren zu lassen? Nein, das Risiko ist viel zu groß, wahrscheinlich würden eh noch mehr Menschen brutal ermordet werden.
Oberstes Ziel der UNO muß es sein, Menschenleben zu retten, nicht weitere zu riskieren. Deshalb ist es richtig, Hilfskonvois nach Sarajevo zu schicken. Aber unbewaffnet. Und natürlich ist es auch richtig, Flugzeuge nach Bihác zu senden. Aber zivile Flugzeuge, mit Lebensmitteln an Bord, die vielleicht abgeworfen werden können. Und anstatt nach den Waffen zu rufen, sollte lieber endlich konsequent das Embargo gegen Serbien durchgesetzt werden: Mit hohen Strafzöllen, einem Ausgleichfonds für Nachbarländer, und effektiven Grenzkontrollen. In ganz Serbien gibt es keine Ölquellen.
In zirka 50 Ländern der Erde herrscht zur Zeit Krieg: Schafft eins, zwei, drei, viele Vietnam – vielleicht, Dany, hast Du das doch falsch verstanden? Aber bitte, geh doch. Lars Kaderali, Kriegsdienstver-
weigerer und Delegierter auf der
Bosnien-BDK
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