■ Einspruch gegen Augstein: Und der „Spiegel“ gehört doch uns
Das wirklich beunruhigende Bild dieser Tage ist, daß der Spiegel wieder einmal der Spiegel ist. Haßliebe ist das normale Gefühl, das der westdeutsche Nachkriegsleser – meist männlich – zum Spiegel entwickelt hat. Instinktives Verständnis, auch jetzt, und die bange Ahnung, sie werden es nicht schaffen, erst in der dritten Generation nach Augstein. Das Tafelsilber der alten Bundesrepublik kommt unter den Hammer. Denkt da einer an die FDP und an die SPD und an die CDU nach Helmut Kohl? Gedanken beim Blick in den Spiegel.
Können Dinosaurier ewig leben? Im Prinzip ja. Es ist nur noch nicht vorgekommen. Irgendwann geht der Stoff aus, aus dem ihr unergründliches Lebendigsein kam. Dann gibt es ein riesiges Getöse, die Luft schmeckt nach Tragödie und Mythos, der Rest ist déjà vu.
Bedeutende Männer sind jederzeit in der Lage, ihr Lebenswerk zu zerstören. Das ist sogar die Regel und entspricht meist der Größe ihrer Lebensleistung. Niemand kann einen Großen an diesem Werk der Selbstzerstörung hindern, keiner. Man stoppt schon gar keinen Rudolf Augstein – mächtig, süchtig, hilflos und immer noch genialisch. Der trabt jetzt los wie ein afrikanisches Nilpferd, um mit dem Eigengewicht eines Kolosses auf irgendeinen imaginären Widerstand aufzuprallen, bis ihm der Schädel zerspringt. Das sind Urgewalten. Das geht seinen animalischen Gang. Was geht's uns an? Es geht uns was an.
Fast niedlich und ein bißchen schäbig ist der angegebene Grund: Ein Fall von Political correctness im Spiegel. Einer muß gehen, einer soll retten. Der große Augstein sucht einen Zeitungssohn, der ihm ähnlich wäre. So klingt der Wunsch nach Unsterblichkeit auf hamburgisch.
Da ist die Redaktion. Oder was von ihr noch übrig ist. Die Standarte des westdeutschen investigativen Journalismus flattert abgrundtief verunsichert hin und her zwischen Vatermord-Phantasien und extremen Trennungsängsten. Hinweggefegt jegliches Selbstbewußtsein, nicht die Spur einer kreativen Perspektive aus der Zwangssituation, in die sie von dem tobenden Alten gebracht wurden.
Was ist eigentlich passiert? Die Auflage ist um ein Weniges gefallen, unbedeutend. Aber das Selbstbewußtsein ist weg, zerstoben, vernichtet. Ein Lehrbeispiel über das bestgehütete Geheimnis der großen Monopole: die katastrophale Verwundbarkeit. Beim Spiegel Journalist zu sein, das hieß: angeschlossen sein am Medien-Machtpol, das hieß: es öffnet sich jede Tür, es fließt jede Information. Hat sich daran etwas geändert?
Verändert hat sich, daß der Herausgeber, der Mythos des Blattes, seine Redaktion so sehr verachtet, daß er es aller Welt vor Augen führt. Ihr oder ich, Kilz oder Aust, das kommt so daher wie: Sieg oder Schande, Tod oder Leben, archaisch. Und keiner wagt zu lachen.
Keine Redaktion der Welt kann sich eine solche öffentliche Demütigung gefallen lassen – nur um den Preis ihrer eigenen kreativen Seele. Wahrscheinlich weiß Rudolf Augstein das irgendwo im Innern seines Zorns. Wahrscheinlich will er es so.
Nutzt es noch etwas zu sagen, daß der Spiegel eigentlich uns gehört, daß er Eigentum der ganzen Republik ist, wer auch immer die Anteile in Besitz hat? Antje Vollmer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen