Regierungskrise oder absurdes Krippenspiel?

■ Italiens Koalition scheint kurz vor dem Bruch zu stehen / Die „Ligen“ halten Regierungschef Silvio Berlusconi inzwischen für komplett größenwahnsinnig

Rom (taz) – Eine Regierungskoalition, die sich intern mehr bekämpft, als die Opposition das fertigbringt; eine „Regierungsalternative“, von der keiner weiß, woher sie Mehrheiten nehmen will; Pöbeleien und Raufereien im Parlament – Weihnachten 1994 zeigt Italiens Regenten mit aller Inbrunst bei der weiteren Zerstörung des Vertrauens zur Politik. Die vergangenen zwei Tage brachten den bisherigen Höhepunkt des Theaters. Durchweg brachte die Opposition im Parlament ihre Anträge durch. Und dann setzte auch noch die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Irene Pivetti, persönlich einen Gesetzentwurf durch, mit dem den drei Berlusconi- freundlichen Kommissionen, die bisher an der Reform des öffentlich-rechtlichen Fernsehens arbeiteten, die Kompetenz zur Vorbereitung eines neuen Mediengesetzes entzogen und einem neu zu bildenden Ausschuß übertragen wird. Pivetti ist für die Ligen ins Parlament gekommen – der Gesetzentwurf wird als quasi formaler Bruch der Regierungskoalition gewertet.

Tatsächlich sehen die Ligen in Berlusconi mittlerweile nur noch einen vom Cäsarenwahn befallenen Chaoten – und die Argumente dafür sind nicht schlecht: „Da höre ich“, sagt der Minister für die institutionellen Reformen, Francesco Speroni, „daß der Ministerpräsident sich anmaßt, höchstpersönlich die Wertung seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft in Mailand vorzunehmen – nach der Verfassung macht das ja wohl das Gericht; dann droht er im Falle einer Regierungskrise die Parlamentsauflösung an, was nun wiederum ausschließlich dem Staatspräsidenten zusteht; und dann behauptet er, außer seiner gebe es keine anderen Mehrheiten im Parlament, das aber hat nun genau das Parlament festzustellen, nicht er.“ Doch mittlerweile kommen Berlusconi auch noch andere Räder an seinem Regierungsvehikel abhanden: das Christlich-demokratische Zentrum, das auf eine Erweiterung der bisherigen Koalition durch die bisher oppositionelle Italienische Volkspartei gehofft hatte, besteht nun nicht mehr wie vordem auf dem weiteren Verbleib auch der Neofaschisten im Regierungsbündnis – den die Volkspartei kategorisch ablehnt.

Dennoch sind Alternativen zur derzeitigen Regierung schon rechnerisch nur schwer denkbar. Die Ligen haben bereits den Preis für jede mögliche künftige Regierungskoalition genannt: Nur wenn jemand aus ihren Reihen Ministerpräsident(in) würde, wären sie zum Eintritt in eine neue Regierung bereit. Ihr aussichtsreichster Kandidat wäre der derzeitige Innenminister Maroni, doch auch die zwar noch blutjunge, durch ihre Amtsführung inzwischen aber allgemein anerkannte Parlamentspräsidentin Irene Pivetti käme dafür in Frage. Sie könnte sich sogar der Wertschätzung von Staatspräsident Scalfaro erfreuen.

Da sich Berlusconi derlei Demütigungen nicht gefallen lassen kann, scheidet das bisherige Bündnis von vornherein aus. Bliebe den Ligen also eine Mitte-links-Koalition mit der Volkspartei, dem Referendumspakt des ehemaligen DC-Dissidenten Mario Segni und den Linksdemokraten. Dort gibt es zwar keine Vorbehalte gegen die beiden KandidatInnen für das Amt des Regierungschefs. Doch die Zahl der Abgeordneten würde nicht zur Wahl ausreichen, weil die bisher im „Fortschrittlichen Pool“ um die Linksdemokraten eingebundenen KP-Nostalgiker der „Rifondazione comunista“ nicht mitziehen würden. Außerdem könnte sich Umberto Bossi nicht einmal aller Stimmen seiner eigenen Fraktion sicher sein, denn viele Ligen-Abgeordnete sehen selbst in den Linksdemokraten noch immer Altkommunisten und lehnen die Zusammenarbeit ab.

Der Chef der Linksdemokraten, Massimo D'Alema, lockt derweil wie eine Sirene nach allen Seiten: den Ligen verspricht er einen gestärkten Förderalismus; den Christdemokraten winkt er mit einer Präferenz der Familienpolitik, und sogar für mögliche Abspalter aus der Rechten hat er ein paar nationalistische Töne parat, etwa über eine „neue Rolle Italiens in der europäischen Gemeinschaft“.

D'Alemas Handicap dabei: Auch gegen ihn laufen Ermittlungsverfahren – zwar nicht wegen Korruption, wie bei Berlusconi, wohl aber wegen Verstoßes gegen das Parteienfinanzierungsgesetz. Werner Raith

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