: Glaser sollen leer ausgehen
■ Kein Silvesterkrawall 1994: HipHop statt TonSteineScherben
1. Dezember: Der neue Viertelbürgermeister war keine drei Stunden im Amt, da wurde ihm seine erste Bewährungsprobe vorgestellt: die Silvesternacht am Sielwallkreuz. Gestern, gerade zwei Wochen später, konnte Robert Bücking der Presse den Plan der übergroßen Viertel-Koalition präsentieren, wie der erwartete Jahreswechselkrawall diesmal zu verhindert sei. Polizei, Sielwallhaus, die Kaufleute im Viertel, das Lagerhaus und die Bürgermeisterei in einem Boot unter dem Motto „Keinen Pfennig für die Glaserinnung – wir können auch anders!“
„Anders“ soll heißen: Nicht ein paar feiern mit Feuer und Flamme und die Masse guckt bewegt zu, sondern alle feiern. Mit Musik, Heißgetränk und Tanz. Weil aber das Krawallpotential nun mal da ist, soll–s für die unruhige Jugend eine Hip-Hop-Jam auf dem Goetheplatz vor dem Theater geben, vom Kulturzentrum Lagerhaus organisiert.
Die strategische Idee: wenn um Mitternacht, nach erfolgter Zündung der Böller auf dem Rathausplatz, die Massen zum Krawallgucken ins Viertel ziehen, werden nennenswerte Teile schon am Goethetheater vom aggressiven Straßenrap angelockt. Der Rest verteilt sich auf dem gesamten Ostertorsteinweg; auf dem Sielwallkreuz aber, wo sonst die Flammen an die Straßenbahn-Oberleitung züngelten, schenken Polizei und Sielwallhäusler Punsch aus. „Amüsement und Kritik“ findet Bücking in diesem Konzept aufgehoben.
Das kann natürlich ins Auge gehen, wie alle Beteiligten wissen. Die ersten bösen Reaktionen aus dem Lagerfeuer-Lager liegen vor; von Bestechung wird geraunt, auf Plünderung bestanden. Bückings Etat fürs Fest allerdings ist knapp: 25.000 Mark hat er von Rathaus, Sozialsenatorin und Ostertorschen Werbeagenturen („eine astreine Werbung fürs Viertel!“) zusammengekratzt. Der Rest ist privates Engagement.
Anselm Züghart vom Lagerhaus weist auf seine 15-jährige Erfahrung im Veranstalten gewaltfreier Feste hin, eine Serie, die er fortsetzen will. Nun hoffen alle auf eine hochsensible Polizei, die massiv dasein wird, aber vielleicht gar nicht zu sehen. Höchstens in Kleingruppen und Ausgehuniform.
BuS
Viertelbürgermeister Robert Bücking ruft „alle Bremer, die was vom Feiern verstehen“, auf, mitzumachen und sich bei ihm zu melden.
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