: BVG und Denken schließen sich aus?
■ BVG muß umstrittene Plakatserie gegen Ausländerfeindlichkeit aufhängen / Berliner Ensemble erzielt einstweilige Verfügung beim Landgericht / BVG hatte "aggressive Provokation" der Plakate kritisiert
Im Streit zwischen dem Berliner Ensemble und der VVR Berek hat das Theater gestern einen Erfolg erzielt. Das Landgericht entschied gestern nachmittag per einstweiliger Verfügung, daß eine umstrittene Plakatserie ab sofort von der BVG aufgehängt werden muß. Gegenstand der Auseinandersetzung ist eine achtteilige Plakatserie, mit der das Theater für die Premiere „Ich bin das Volk“ des Dramatikers Franz Xaver Kroetz am 21. 12. werben möchte (siehe taz vom 14. 12.).
Die Serie besteht aus acht Motiven und ist mit Zeilen aus einem Gedicht des Lyrikers Reinhaurd Lettau bedruckt. Darin heißt es unter anderem: „Bimbo erbleiche, Deutschland den Italiänern, Itakker abnudeln, Deutschland den Schwulen ...“. Hintereinander gelesen wird daraus eine ätzend-groteske Litanei gegen Ausländerfeindlichkeit. Entworfen wurde die Serie von Graphikern der renommierten „Rixdorfer Werkstatt“.
Die Plakate stießen bei der VVR Berek auf Ablehnung. Die für Werbung in der Berliner U-Bahn zuständige Tochtergesellschaft der BVG weigerte sich, die Serie zu kleben. Grund: Der „unvoreingenommene Betrachter“ nehme Anstoß an der „aggressiven Provokation“, mit der das BE auf das Kroetz-Stück aufmerksam machen wolle. Detlef Kuno, Chef der VVR Berek: „Wenn wir die Plakate einzeln über die Stadt verteilen, geht der Gesamtzusammenhang verloren, so daß der eigentliche Inhalt der Serie nicht mehr zu verstehen ist.“ In der kurzen Zeit, die Reisende auf Bahnhöfen verbringen, bestehe nicht die Gelegenheit, die, wie Kuno zugesteht, „an sich eindeutige Kombination von Gedicht und bildlicher Darstellung“ zu begreifen.
Das BE dagegen pocht auf Erfüllung des Werbeauftrags. Die sprachliche Verfremdung und teilweise spiegelverkehrten Schriftzüge machten hinlänglich deutlich, worum es sich handle, so BE-Pressesprecherin Karin Graf. „Wir sind nicht der Meinung, daß die Plakate gegen die guten Sitten verstoßen. Wir sehen die Sache von der sportlichen Seite.“ Scheinbare Gelassenheit auch bei Detlef Kuno: „Die Chancen, daß wir die Plakate doch noch kleben müssen, stehen 50 zu 50.“ Zu bedenken gibt der VVR- Chef jedoch, daß die Plakate von rechten Gewalttätern für ihre Zwecke mißbraucht werden könnten.
Es ist nicht das erste Mal, daß „der Reisende“ von der VVR Berek für dümmer gehalten wird, als er ist. Erst kürzlich war ein Anti- Bundeswehr-Plakat der christlichen Patmos-Gemeinde (Aufschrift „In der Bundeswehr lernt man töten“) abgelehnt worden – Gerichte wurden bemüht und haben der Patmos-Gemeinde mittlerweile recht gegeben. Ein Verkehrsbetrieb eigne sich nicht als Forum für Provokationen, hält die VVR Berek dagegen. Da man weiß, wozu sich Provokationen eignen – zum Nachdenken nämlich –, wäre der Umkehrschluß dann wohl, daß BVG und Nachdenken zwei Dinge sind, die sich ausschließen. Ulrich Clewing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen