: Pedal for the Planet
Zwei Ökofans strampeln mit Tretboot und Fahrrad um die Welt ■ Von Miriam Hoffmeyer
Wenn Steve und Jason sich beeilen, dauert die Reise bloß dreieinhalb Jahre. Aber die beiden haben es nicht eilig. Wer mit dem Tretboot über den Atlantik strampeln will, hat viel Zeit. „Wir machen hier ja kein Rennen. An interessanten Orten wollen wir eine Weile bleiben, sonst wird es sowieso zu anstrengend“, meint Steve. Fast vier Wochen mußten sie in Lagos an der Algarve auf günstiges Wetter warten. Mitte Oktober stachen die beiden 27jährigen Engländer dann in See und nahmen Kurs auf die Küste Floridas. Vier Knoten schafft ihr Tretboot. Wenn sie ständig in die Pedale treten, werden Steve Smith und Jason Lewis die Überfahrt in neunzig Tagen schaffen.
Im Hafen von Lagos war das hochseetaugliche Tretboot eine Attraktion. „Die spinnen ja, die Brüder“, fand ein deutscher Segelboot-Besitzer. „Warum machen die sich's so schwer? Die sollten lieber segeln.“ Aber Steve und Jason haben sich in den Kopf gesetzt, als erste Menschen die Erde nur durch human power zu umrunden. 14.400 Kilometer zu Wasser mit dem Tretboot und nochmals 32.000 Kilometer auf dem Landweg per Fahrrad. Von Florida werden sie nach Alaska radeln, über die Beringsee nach Japan übersetzen und über China, Indien, Pakistan und den Iran nach Europa zurückkehren. Wenn alles gutgeht, werden sie im Frühjahr 1997 Deutschland durchqueren.
„Pedal for the Planet“ steht in großen Buchstaben auf Steves T-Shirt. Emsig und geduldig präpariert er Seilenden gegen das Ausfisseln, während Jason, ein Musiker, ein paar Dörfer weiter Abschied von den eigens angereisten Eltern nimmt. In den achtzehn Ländern, durch die die Reise geht, wollen er und Jason mit Schulkindern über ihre Lebensziele, Träume und Wünsche und über Ökologie sprechen. In vierzig Schulen sind sie schon angemeldet. Alle gehören dem 1953 gegründeten „Associated Schools Project“ der Unesco an.
„Was die beiden vorhaben, ist so ein phantastisches Projekt. Es ist einfach so eine unglaubliche Sache!“ begeistert sich Jane Wicketer von der Pariser Zentrale der Unesco. Dort wurden Steve und Jason im Juli empfangen, als sie vom englischen Greenwich nach Portugal unterwegs waren. „Statt einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde anzustreben, bemühen sie sich um die wichtigeren Belange von Umweltbewußtsein und internationaler Verständigung“, lobte der stellvertretende Generaldirektor der Unesco, Adnan Badran. Ein Empfehlungsbrief des Generaldirektors Federico Mayor soll ihnen den Weg bei den einzelnen Nationalkommissionen der Unesco ebnen. Nur zur finanziellen Unterstützung des Projekts konnte man sich bei der Unesco nicht entschließen. Leider: Steve und Jason haben allein für das Boot schon 75.000 Mark Schulden gemacht. Insgesamt brauchen sie etwa 300.000 Mark. Die Suche nach einem finanzkräftigen Sponsor blieb bisher erfolglos. „Für Sponsoren muß man irgend etwas Dramatisches machen“, glaubt Steve. Um Winde und Strömungen nutzen zu können, nehmen die beiden die lange südliche Route über den Atlantik, die direkt durchs Bermudadreieck führt. „Die Wahrscheinlichkeit, daß wir zu dieser Jahreszeit einem Sturm in die Quere kommen, liegt bei einem Prozent“, sagt Steve. „Und sonst wäre das auch nicht das Ende der Welt.“ Das Tretboot sei so konstruiert, daß es sich nach dem Kentern von selbst wieder aufrichte. Und im Notfall könne immer noch per Funk Hilfe geholt werden.
Bangemachen gilt nicht. Wenn Steve von seinem Plan nicht besessen wäre, wäre er nie so weit gekommen. Als er vor drei Jahren auf die Idee kam, die ihn nicht mehr loslassen sollte, startete er gerade eine Karriere als ökologischer Berater. Nach dem Examen an der Londoner Universität entwickelte er Recycling-Projekte in London, Paris und schließlich bei der EG in Brüssel. „Aber ich wollte aus diesem Büroleben und dem ganzen System der Karriereleiter raus. Ich wollte etwas völlig anderes machen, etwas Physisches.“ Er träumte davon, jahrelang im Zelt zu schlafen, sich zu ernähren wie ein Einsiedler: „Es wächst so viel wild, Feigen, Nüsse, Weintrauben, Beeren. Davon zu leben, das ist eine Fertigkeit, die wir verloren haben.“
Die Sehnsucht nach den Ursprüngen geht für Steve und Jason gut mit Technikbegeisterung zusammen. Auf See orientieren sie sich mit einem Satellitensystem an Bord. Ihr Boot ist acht Meter lang, sehr leicht und wie ein Kanu geformt. Die Pläne hat das britische „Exeter Maritime Museum“ entworfen. Solarzellen auf dem Dach des Cockpits liefern die Energie für das Radio und die Navigationsinstrumente. Skelett und Planken sind aus Edelhölzern (geliefert von der „Ecological Trade Company“). Über eine Gangschaltung, die die Kraft optimal überträgt, sind die Pedale mit einem Propeller am Heck verbunden.
Nachdem sie das Boot schon auf dem Ärmelkanal erprobt haben, brauchen die beiden Männer in Lagos nur noch Kleinigkeiten auszubessern. In ihrem Quartier liegen Werkzeug und Farbtöpfe wild durcheinander. Dazwischen eine geliehene Gitarre, Homers „Odyssee“ und Aldous Huxleys letzter Roman „Island“. Aus diesem Buch hat Steve auch den Namen für ihr Boot, „Moksha“. „Das ist Sanskrit und heißt Freiheit. In unserer Welt ist alles kontrolliert. Wir gehen aus dem Kontrollbereich hinaus.“ Auf dem Atlantik ist das Leben freilich strikt geregelt. In Vier-Stunden-Schichten tritt einer in die Pedale, während der andere schläft. Zwischendurch müssen die dehydrierten Rationen für Polarfahrer zubereitet werden, die den Globetrottern für die Expedition gespendet wurden. 200 Kilo davon lagern im Bug und im Heck des Bootes. Trinkwasser wird in einer Entsalzungsanlage hergestellt. Und wenn man das Dach im Cockpit öffnet, kann man sogar angeln, um Abwechslung in den Speiseplan zu bringen. Steve will beim sturen Trampeln lesen und lernen, anhand des Sternenhimmels zu navigieren. Und Jason plant, drei Monate lang auf der Blues-Harmonika zu üben, die er vor kurzem entdeckt hat. „Wenn unsere Freundschaft das aushält“, meint Steve, „dann werden die restlichen drei Jahre auch kein Problem.“
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