: Kreuzzug ins Glück
Mit dem Videospiel „Shaq-Fu“ erreicht das Rundum-Produkt Shaquille O'Neal höchste Perfektion ■ Von Thomas Winkler
Zu Beginn dieser Woche war Shaquille O'Neal wieder ganz der alte. Sein Team Orlando Magic bezog eine dicke Packung von den New Jersey Nets, und O'Neal tat seinen Teil dazu: Elfmal trat er an die Freiwurflinie, nur zweimal traf er. „Es war einfach eine dieser Nächte“, meinte unser Held anschließend, das berühmte Lächeln nicht ganz so breit wie üblich. „Diese Nächte“ sind selten geworden, denn Orlando, zuvor eine Ein-Mann-Show mit O'Neal als Hauptdarsteller, hat eingekauft und ist jetzt eine auf allen Positionen überdurchschnittlich besetzte Mannschaft. Von den ersten 20 Spielen wurden 16 gewonnen, damit avancierte man zum besten Team dieser noch jungen NBA- Saison. Doch gegen die Nets waren die Jungmillionäre aus Orlando wieder nur die Clowns, und O'Neal gab Balu, den Bären.
Groß genug und breit genug für ein Remake des „Dschungelbuchs“ wäre Shaquille O'Neal. 137 Kilogramm verteilen sich auf 2,16 Meter. Und vor allem in der Niederlage offenbart sich, daß er mehr ist als nur ein Basketballspieler. Wie eine Comicfigur steht er wieder auf, wenn er plattgewalzt wurde, und grinst. Shaquille ist kein Mensch, der leidet, wenn er verliert. Shaquille ist einfach jemand, der Ball spielt. Und jedes seiner Lächeln läßt sich in Warenwert umrechnen, und der ist nicht zu knapp bemessen. Shaquille war ein Star, bevor er auch nur einen Ball professionell geworfen hatte, aber Schuhgröße 55 sollte ausreichen, den Druck zu tragen, innerhalb weniger Monate „vom Kind zum Konzern“ (Spiegel) mutiert zu sein. Und ob sein Team hoch verliert oder knapp gewinnt, ist seinen kindlichen Fans egal. Hauptsache „Shaq-Attack“ hat einige seiner Monster-Dunks hingelegt.
Daß O'Neal ein Comic-Charakter ist, dafür gibt es viele Anzeichen und Querbezüge: Die heimische Spielstätte in Orlando, Florida liegt in unmittelbarer Nähe des dortigen Disneyworld. Er hat mehr Kraft in seinem gewaltigen Körper, als sein Kopf scheinbar beherrschen kann, und reißt reihenweise Basketballkörbe aus ihren Verankerungen. O'Neal ist ein Superheld wie aus einem Marvel-Comic: Die Dunkings sind seine Wunderwaffe, brutal, wie nie zuvor gesehen, und doch bleibt er immer der Gute. Und er braucht nicht einmal einen Künstlernamen: Shaquille kommt aus dem Arabischen und bedeutet ausgerechnet „Kleiner Krieger“. Wie eine Comicfigur ist er geschlechtslos, fehlen ihm die Affären. Anstatt wie Charles Barkley oder Dennis Rodman mit Madonna anzubändeln, verrät er schüchtern nuschelnd: „Die einzige Frau, die ich an mein Geld lasse, ist meine Mutter.“ Und vor allem sieht er, selbst aus normalsterblicher Sicht von unten betrachtet, trotz rasiertem Schädel und Koteletten, die aus dem Nichts kommen, immer noch aus wie ein gutmütiges Kind. Ein Kind, das spielt, um zu spielen. Und nicht wie ein Profi, der spielt, um zu gewinnen.
O'Neal war ein Glücksfall für die NBA, und daß nicht nur, weil die Liga nach dem Abgang der Superstars Magic Johnson, Larry Bird und Michael Jordan ein neues Aushängeschild brauchte. O'Neal paßt viel besser in die Jetztzeit als seine Vorgänger. Er ist die perfekte Identifikationsfigur für Teenager und Kids. Dieses Riesenbaby, das kein Wässerchen trüben, aber dafür Hallenwände zum Wackeln bringen kann, fasziniert die Kinder, die sich – gefangen in ihrer eigenen Machtlosigkeit – Shaq-Kräfte wünschen, aber doch niemandem etwas Böses wollen. Und typischerweise vollbringt ihr Held seine Heldentaten eben nicht wie seine antiken Kollegen Superman oder Batman in einer der Wirklichkeit angelehnten Welt, sondern auf dem realen Basketballfeld, wo er seine Schlachten im Ersatzkrieg Sport schlägt. Nur ältliche Sportliebhaber können da mosern, dieser junge Hüpfer hätte ja noch gar nichts gewonnen. Der Sinn des Spiels ist für die nachgewachsenen Fans nicht der Sieg, sondern die Eleganz, der Stil. Ist somit Pop!
Jeder krachende Dunking von Shaquille O'Neal ist für einen Siebenjährigen aufregender als die fünfte NBA-Meisterschaft eines Magic Johnson, jeder Dunk eines Spiels ist wie ein Song eines Konzertes. Man kennt den Ablauf, die nächste Note auswendig, aber es ist immer wieder schön, den Lärm zu hören. Und noch einen Vorteil im Kampf um die Sympathie der Allerjüngsten hat O'Neal gegenüber den Altstars: Er widmet sich in seiner Freizeit nicht der bei NBA- Profis so angesagten Rentnerbeschäftigung Golf.
Shaquille O'Neal könnte Basketball retten, so wie es Larry Bird und Magic Johnson in den 80ern taten. In einer Zeit, in der NBA-Rookies wie Glenn Robinson es sich zum Ziel setzen, Verträge auszuhandeln, die die 100-Millionen-Dollar-Schallmauer durchbrechen, verkörpert O'Neal die kindliche Reinheit in Person, scheinbar unbefleckt vom satanischen Geschäft. Das bringt seiner Liga die jungen Fans als Ersatz für die älteren, die sich angeekelt abwenden von den Auseinandersetzungen zwischen raffgierigen Clubbesitzern und raffgierigen Spielern.
Die NBA weiß das, und sein Club Orlando Magic honoriert es mit jährlich 5,9 Millionen Dollar. Außerdem kurbelte O'Neal quasi als Dreingabe das immens wichtige Merchandising-Geschäft, das der NBA allein einen Bruttoumsatz von zwei Milliarden Dollar jährlich bringt, noch einmal an. Inzwischen sind die Kappen oder Shirts mit dem Magic-Emblem des Provinzclubs aus Orlando die meistverkauften der Liga. Sogar Christbaumkugeln mit dem Logo der Franchise aus Florida kann man neuerdings erwerben.
Und auch die Industrie fand schnell den richtigen Zug. Die Sportartikelfirma Reebok wußte schon vor seinem ersten Profispiel, daß dies der Mann sein würde, um Marktführer Nike zu ärgern. Für Roberto Muller, Reeboks Sport-Präsident, sind die 20 Millionen Dollar für fünf Jahre sinnvoll angelegt: „Shaq war in drei Monaten so bekannt wie Michael Jordan.“ Und junge Menschen sollen Cola trinken, also ließ sich Pepsi das Baby acht Millionen für vier Jahre kosten. Auf der Liste des US-Magazins Forbes der bestverdienenden Sportler wurde O'Neal als Zweiter mit jährlichen Einnahmen von 16,7 Millionen Dollar geführt. Jordan, der berühmteste mittelmäßige Outfielder in der Geschichte des Baseball, ist mit 30,01 Millionen auch im Jahre zwei seines Rücktritts vom Basketball Spitzenreiter.
Das Produkt Shaq ist perfekt durchdacht. Eine der letzten Errungenschaften war eine Tätowierung auf dem linken Arm, ein „S“, dem Superman-Symbol nachempfunden. Schon als O'Neal noch im College von Louisiana spielte, ließ Manager Leonard Armato ein Logo entwerfen: Im Schriftzug „Shaq“ hängt O'Neal am Korb. Als Partner im Friedkin-Film „Blue Chips“ fand sich kein Geringerer als Nick Nolte. Und zu Hause im stillen Kämmerlein entwickelte sich auch noch ein Talent zum Musikus – O'Neal begann zu rappen. Zuerst half er bei den Kumpels „Fu-Schnickens“ aus, inzwischen hat er seine zweite Solo-LP mit Erfolg veröffentlicht. Seine Raps sind zwar gemächlicher als die Hochgeschwindigkeitsattacken der Fu- Schnickens, dafür aber wesentlich verkäuflicher.
Völlig unerheblich ist es da, daß O'Neal auch in seinem dritten Profijahr immer noch über beschränkte spielerische Mittel verfügt. Sein größtes Plus ist sein Körper, relativ schnell trotz Größe und Gewicht, einer, der springen kann, aber den „du nicht wegschieben kannst, wenn er nicht will“, wie Center-Kollege Hakeem Olajuwon, amtierender Meister mit den Houston Rockets, erkannte. Das US-Magazin Sport verglich O'Neal immerhin mit dem legendären Wilt Chamberlain, der die Liga in den 60ern beherrschte. Allerdings nur, weil beide ihre Trainer mit katastrophalen Freiwurf-Quoten plagten.
Eine der letzten fehlenden Facetten zum Rundumprodukt Shaq wurde nun hinzugefügt. Was fehlte, war das Videospiel zum Star. Ein Medium, das von den jugendlichen Fans sowieso geschätzt wird. Wohlwissend, daß gekauft wird, wo Shaq draufsteht, haben sich Electronic Arts, die „Shaq-Fu“ für den Sega Mega Drive entwarfen, nicht gerade überschlagen. Der Großteil der minderjährigen Spielsüchtigen, die sich „Shaq-Fu“ zulegen werden, dürfte die Tastenkombinationen schon aus ähnlichen Martial-Arts- Spielen kennen. Da wird getreten, geboxt und mit allerlei rotierendem und explodierendem Zeug geworfen. Der Spieler, also Shaq (leidlich erkennbar an den kurzen Hosen), verirrt sich in die „zweite Welt“. Dort prügelt er sich mit elf verschiedenen Charakteren, aber Basketball – Fehlanzeige.
Shaquille O'Neal ist der erste Mensch, der endgültig deckungsgleich hinter seinem Abbild in der virtuellen Welt verschwindet. Nahezu unabhängig von seinen sportlichen Fertigkeiten existiert er als pures Image und wird so zur perfekten Besetzung für die Werbestrategen. Sein Ruhm und somit die Dotierung der Werbeverträge errechnet sich nicht nach gewonnenen Meisterschaften, sondern nach der Perfektion des Scheins. Pop war immer dann am erfolgreichsten, wenn die Akteure klaglos ihre von Produzenten zugewiesene Rolle als Kleiderstangen akzeptierten, als Personen nicht mehr wahrnehmbar waren, ein Gefühl nicht selbst fühlen mußten, sondern nur überhöht transportierten.
Was nicht bedeutet, daß Shaquille O'Neal nicht NBA-Champion werden könnte. Aber das hätte dann ungefähr dieselbe Bedeutung wie ein MTV-Award für Take That – ein Anlaß mehr für die Fans, laut zu kreischen. Und noch mehr Mützen, Shirts und Christbaumkugeln zu kaufen.
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