: Warten auf den Osterhasen
■ Polizeiskandal: „Weihnachtsmann“ brachte ein seit sechs Monaten verschollenes Video vom Einsatz auf dem Gänsemarkt Von Kai von Appen
Neue Merkwürdigkeiten in Sachen Polizeiskandal: Über sechs Monate nach dem Übergriff auf den Hamburger Journalisten Oliver Neß, der während der Kundgebung des Österreichers Jörg Haider am 30. Mai von Polizisten mißhandelt und erheblich verletzt worden war, tauchte jetzt plötzlich ein Video-band auf, das die Vorgänge auf dem Gänsemarkt dokumentiert.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft schickte ein „Weihnachtsmann aus Hannover“ der Hamburger Ermittlungsgruppe „PS 3“ die Aufzeichnungen anonym per Post zu. Dabei handelt es sich um denselben Film, den damals der Dokumentationsfilmer der Polizeidirektion Mitte aufgenommen hatte. Allerdings: Das neue Band ist vollständig, während aus dem bislang bekannten Video auf unerklärliche Art und Weise sechs Minuten abhanden gekommen waren.
Der Polizeifilmer hatte angegeben, daß er ein vollständiges Band dem Staatsschutz zur Auswertung übergeben habe. Der wiederum will den Film bereits mit dem Sechs-Minuten-Loch entgegengenommen haben. Ermittlungsstaatsanwalt Joachim Dreyer konstatierte, daß das Band an dieser Stelle eindeutig gelöscht worden war und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Strafvereitelung im Amt ein. Auf jeden Fall waren die Mitarbeiter der „PS 3“, also der Gruppe, die gegen PolizistInnen ermittelt, bisher stets davon ausgegangen, daß es nur ein Video von den Vorfällen gibt.
Um so verblüffender, daß jetzt der Hannoveraner „Weihnachtsmann“ der „PS 3“ die vollständige Version der Aufzeichnungen präsentierte. Damit verstärkt sich der Verdacht, daß die fraglichen sechs Minuten nicht zufällig abhanden gekommen sind. Und: Irgendjemand muß von dem kompletten Film gewußt und den Versuch unternommen haben, ihn verschwinden zu lassen. Oliver Neß gestern auf Anfrage zu den jüngsten Entwicklungen: „Sie zeigen, mit welcher kriminellen Energie bei der Polizei vorgegangen wird.“ Das Paket aus Hannover – das nur aus Polizeikreisen stammen kann – wird jetzt kriminaltechnisch untersucht.
Überraschend auch die schnelle Stellungnahme von Staatsanwaltschaftssprecher Rüdiger Bagger: „Das vollständige Video hat uns bestätigt, daß die sechs Minuten nichts Wesentliches enthalten. Honig können wir daraus nicht saugen.“ Allerdings war klar, daß der bewußte Abschnitt wohl nicht den Überfall auf Neß zeigt, aber vermutlich die Identifikation der Polizeischläger ermöglicht.
Merkwürdigkeiten, Teil zwei: Nachdem die Bereitschaftspolizei (Bepo) bislang bestritten hatte, einen eigenen Dokumentationstrupp auf dem Gänsemarkt im Einsatz gehabt zu haben, gibt sie nun nach sechs Monaten zu, daß doch ein Bepo-Filmer unmittelbar neben dem Überfall gestanden hat – nur will dieser angeblich nicht gefilmt, sondern nur durch den Sucher geguckt haben. Neß: „Vielleicht bringt dieses zweite Video ja der Osterhase.“
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