piwik no script img

Debütantenball

■ Der 20jährige Josef Strobl war der Star beim österreichischen Abfahrtsfestival in Val d'Isre

Berlin (taz/dpa) – „Der ist genial“, staunte der Österreicher Patrick Ortlieb am Samstag im Zielraum des zweiten Abfahrtslaufes von Val d'Isère über seinen Landsmann Josef Strobl. Sicher und elegant war der 20jährige die Strecke hinunter gerast, hatte schwierige Stellen wie den mächtigen Sprung an der „Mauer“ oder die „Kompression“, die unter anderen den Schweizern Gigandet und Besse zum Verhängnis wurde, souverän gemeistert und in der Zieleinfahrt noch so viel Zeit gutgemacht, daß er bis auf drei Sekunden an den führenden Ortlieb, 1992 in Val d'Isère Olympiasieger, herankam. Ortlieb atmete auf, wurde später aber doch noch von Armin Assinger überholt. Den vierfachen österreichischen Triumph – zuletzt hatten dies Harti Weirather, Erwin Resch, Peter Wirnsberger und Franz Klammer im Jahre 1982 geschafft – machte Günther Mader perfekt, der vor dem Italiener Pietro Vitalini auf Rang vier kam.

In den Schatten gestellt wurde der österreichische Massensieg jedoch vom sensationellen Abfahrtsdebüt Josef Strobls, der im vergangenen Jahr lediglich zwei Weltcuprennen in seiner eigentlichen Spezialdisziplin, dem Riesenslalom, bestritten hatte, und am Freitag mit der Startnummer 61 seine erste Abfahrt sogleich als Sieger beendete. Dies war vorher noch niemandem gelungen, übertroffen wird Strobls historische Errungenschaft nur von den Italienern Gustav Thöni und Piero Gros, die 1969 beziehungsweise 1972 ihr allererstes Weltcuprennen, beide im Riesenslalom, gewonnen hatten.

Konnte der Erfolg im ersten Rennen noch als Zufall gewertet werden, wie er im alpinen Rennsport hin und wieder vorkommt, war nach Strobls drittem Rang am folgenden Tag endgültig klar, daß mit dem jungen Burschen durchaus ein Abfahrtsläufer vom Schlage eines Franz Klammer, Bernhard Russi oder Pirmin Zurbriggen die internationalen Pisten betreten haben könnte. „Daß er gut fährt, war jedem klar“, meinte Ortlieb, „aber ich hätte ihm nie zugetraut, daß er zweimal so cool die Nerven behält.“

Am wenigsten überrascht schien Strobl selbst, der mit der besten Zeit im letzten Training gerade noch in das österreichische Team gerutscht war. „Ich habe gewußt, daß ich schneller bin als die anderen“, sagte er nach seinem Sieg im Zielraum und kündigte weitere große Taten an: „Im Riesenslalom bin ich noch viel besser.“ So gelassen, wie er den Hang hinuntergesaust war („Nervös war ich nicht“), so gelassen nutzte er danach die Gunst der Stunde und handelte noch im Zielraum persönliche Sponsorenverträge aus. „Unglaublich, wie cool der ist“, staunte auch der 30jährige Armin Assinger über den neuen Kollegen, der sich innerhalb von zwei Tagen in die Weltcup-Mannschaft und das Team für die WM Ende Januar in der spanischen Sierra Nevada katapultiert hat.

Nicht ganz so weit vorn wie der Tiroler Debütant landete Stefan Krauss (27). Mit seinem elften Rang im zweiten Rennen, nachdem er am Freitag bereits Fünfzehnter war, schaffte jedoch auch der Berchtesgadener bereits die Norm für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft. „Da gibt's jetzt keine Diskussionen mehr“, meinte Krauss, der nun sogar die 3.000 Mark zurückbekommt, die der DSV ihm und drei Teamkameraden für das Training abgeknöpft hatte. „Man wollte uns ein bißchen ärgern“, vermutet Krauss, „der Effekt ist okay.“

Hochzufrieden mit den Fernsehbildern von der tiefverschneiten Landschaft um Val d'Isère zeigte sich der Internationale Skiverband (FIS), der wegen der vielen Ausfälle und Verlegungen im milden europäischen Winter schon mächtigen Ärger mit der geldgebenden Ski-Industrie bekommen hatte. „Das Chaos der Absagen ist kontraproduktiv und schädlich“, wetterte der österreichische Sportausrüster Franz Schenner, die Leute würden dadurch praktisch eingebleut bekommen, daß nirgends Schnee liege und von einem Winterurlaub Abstand nehmen. „In Zukunft werden wir fordern und keinen Millimeter weichen“, kündigte Schenner an, wobei die Forderungen der Industrie schon lange auf dem Tisch liegen: Austragung der vorweihnachtlichen Rennen in Nordamerika, wo in jener Zeit mehr Schnee liegt, Zusammenlegung von Damen- und Herrenrennen, weniger Rennen, eine Großveranstaltung zum Abschluß, Übertragungen durch große TV-Stationen.

Mit welchen Konsequenzen die FIS-Funktionäre zu rechnen haben, sollten sie sich weiter starrsinnig zeigen, stellt Schenner unmißverständlich klar: „Dann machen wir es selber. Die Läufer gehen dorthin, wo das Geld ist.“ Matti Lieske

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen