: Scheibengericht
■ MC 900 Ft Jesus / Texas Bohemia / Frohe Weihnachten! / Edwyn Collins / Paul Quinn / Leonard Cohen
One Step Ahead Of The Spider
(American Recordings/BMG)
Psycho Killer, qu'est-ce que c'est? Wenn einer fremde Gedanken denkt im eigenen Kopf, hieß es anläßlich der 91er MC-900-Ft-Jesus-CD „Welcome To My Dream“; wenn er die Stimmen von Paranoikern, Psychopathen, Kleinkriminellen so perfekt rekonstruiert, daß die Gewalt und die Langeweile amerikanischer Suburbs hörbar wird. Better run run run run run run run away.
Auf „One Step Ahead Of The Spider“ hat sich scheinbar nichts an diesem Prototyp geändert: Mark Griffin, der weiße Texaner, der sich Ende der Achtziger als MC 900 Ft Jesus neu erfunden hat, raunt und stretcht seine Verse wie unter dem Einfluß subsonischer Einflüsterungen, Rap als endloses Selbstgespräch, das sich aus alltäglichen, leicht überbelichteten Wahrnehmungen füttert: „The parking lot was nearly empty, her car looked like a little child's toy ...“ Böses, texanisch herausgequengeltes Opening, 11 Minuten und 41 Sekunden allein die Geschichte einer Autofahrt mit Splatterfinale, ein sprachlicher Zeitlupen-Take, den Griffin sich in allen Einzelheiten auf der Zunge zergehen läßt. Willkommen in meinem Traum, Part III.
Knapp nur entkommt Griffin schon hier dem Verdacht, bei aller Weirdness ein Gewaltkitschier zu sein – was unter anderem mit seinem Konzept vom Rapper als Storyteller zu tun hat. Die Stücke auf „One Step Ahead ...“ sind keine Stegreifversprachlichung von Konflikten mit dem Ziel, die Lage rhetorisch in den Griff zu kriegen oder den Gegner zu übertrumpfen, sondern kunstvoll auserzählte kleine Geschichten mit wechselnder Perspektive. Mal denkt Griffin die Gedanken eines toten Seemanns am Grunde des Meeres, mal schlüpft er in die Rolle eines übergewichtigen Popcorn-fressenden Ekels, das in den Fernseher hineinflucht, dann wieder bringt er Curtis Mayfields tagtraumartiges „Stare and Stare“ in einer zugegebenermaßen wundervollen Version (mit Vernon Reid von Living Colour an der Gitarre) nach Hause.
Daß Griffin sich mit diesen sublimen Ausgestaltungen „interessanter“ Stoffe immer weiter von der unheimlichen Stimme des White-Trash-Amerika entfernt, die man ihm anfangs zuschrieb, geht in Ordnung – man soll den Leuten die Existenznot, die „Authentizität“ gebiert, ja nicht ans Bein reden. Auf die Dauer nervt es aber doch, daß immerzu der digitale Regen aus den Boxen plätschert, daß Fusiongedaddel aus den Siebzigern hier über alle Gebühr als Innovation der Stunde vorgeführt wird; vor allem aber nervt, wie der Neunhundertfuß-Jesus auf seiner Vorstellung von craftmanship herumreitet, mit der er sich von seinen Anfängen als schlichte Stimme zur Beatbox distanziert. Da rappt dann der Emporkömmling, der Visionär, der einen 7/8 Takt vorführt wie ein chinesisches Beistelltischchen, ich meine, „One Step Ahead ...“ ist okay, aber den Heiligenschein, den Griffin sich auf dem Cover hat anmalen lassen, sollte er schnellstens wieder abbestellen.
The Texas Bohemian-Moravian-German Bands (Trikont)
Mehr Feldforschung als Sampler im herkömmlichen Sinne verdient genannt zu werden, was Thomas Meinecke, Radio-DJ, Schriftsteller und wesentlicher Bestandteil der Gruppe Freiwillige Selbstkontrolle, hier kompiliert hat. Spuren einer Ethnographie des Auslands nämlich, das – vom Standpunkt des Betrachters aus – irgendwann mal Inland gewesen ist, versammelt entlang jener Leitlinien und Fragestellungen, die Meinecke in einem Interview für diese Zeitung schon einmal formuliert hat: Verschwinden Blut und Boden aus der volkstümlichen Musik, wenn man sie mit dem Trashflegel bearbeitet? Liegt Deutschland am Ende in Texas?
Weimar, Schulenburg, Boerne, Anhalt, New Braunfels, Luckenbach und Fredericksburg jedenfalls liegen dort, nicht weit von Praha, Breslau und Flatonia – böhmisch-mährisch-deutsche Enklaven, in denen zum Teil immer noch die Sprache gesprochen wird, die Einwanderer Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht selten auf der Flucht vor Rekrutierung durch die k.u.k-Monarchie, in diesen Landstrich mitbrachten. Mitsamt anderer Spezialkenntnisse wie etwa dem Bierbrauen und dem Musikmachen. In der katholischen Mehrzweckhalle von Halletsville findet seit Menschengedenken alljährlich das Texas Polka & Sausage Fest statt, wo Bier aus der benachbarten Spoetzl-Brauerei in Shiner ausgeschenkt wird (angeblich kriegt dort jeder durchreisende Fremdling drei Biere umsonst ausgeschenkt) und Ensembles wie die Shiner Hobos, das Leo Majek Orchestra oder die Bobby Jones Czech Band aufspielen.
Getreu der These, „Volksmusik“ sei erst richtig lustig, wenn sie nicht auf Authentizität beharrt, sondern durch Emigration und Vermischung gebrochen wird, hat Meinecke hier sein Mikrofon aufgestellt, hat in Record Stores gewühlt und lokale Mono-Mittelwellensender belauscht. 25 Stücke von 17 Bands, darunter so klingende Namen wie Adolph Hofner, Henry Tannenberger, The Tuba Meisters oder The Knutsch Band (so das texas-deutsche Wort für Ziehharmonika) sollen dokumentieren, was Meinecke sich von dem langen Weg über den Seehafen von Galveston, die Besiedlung per Ochsenkarren plus Infiltrierung durch das in den jungen USA so oder so schon Vorhandene an ästhetischem Zugewinn erhofft: Rhythmus, Seele, Suff und Elektrifizierung.
Vielleicht teilt sich der Moment, in dem Tradition ihre eigenen Beschränkungen transzendiert und in den Bodensatz eingeht, der dann – unter vielen anderen – Elvis Presley hervorbringen wird, nicht ganz so unmittelbar mit, wie der Sammler in seinen enthuasiasmierten Liner Notes es einfordert; so doll viel Kontakt mit dem schwarzen Part scheinen diese lustigen Einwanderer dann doch nicht gehabt zu haben.
Aber immerhin: wenn die Pedal Steel bei dem „Song Of The War (Bude Vojna Bude)“ von Jimmy Brosch und seinen Happy Country Boys in den ererbten Fundus hineinschliert, wenn das Blasmusi-Arrangement des „Shiner Song“ der Vrazels & Majeks im Verein mit der Bobbys Jones Czech Band unter der Hand zum Dixieland entartet und hier und da sogar die ein oder andere Baßlinie dazwischenfunkt (in genau dem Sinne), ist die Doppelsemantik von „Texas Bohemia“ im wesentlichen eingelöst. In dem ansonsten von mexikanischen Trompeten dominierten Traditional „El Rancho Grande“, hier von Leroy Rybak's Swinging Orchestra gegeben, meint man sogar, den Urberliner Schlager „Die Männer sind alle Verbrecher“ zu erkennen – quasi als transatlantische Hybridform derselben Gemengelage.
Gerne hätte ich nicht nur deshalb noch erfahren, was in dem Örtchen Bettina, einer Gründung im Geiste der romantischen Dichterin Bettina von Arnim, eigentlich für eine Musik gespielt wird.
Merry Christmas from Jamaica (Dreadbeat)
Und was ist das nun, bitteschön? Neun Weihnachtslieder im wiegenden Reggae-Rhythmus, darunter so absolute euroamerikanische Alltime-Greats wie „We Wish You A Merry Christmas“ und „Silent Night, Holy Night“, hier interpretiert von Pablo Black, aber auch „Come All Ye Faithful“, getoasted von keinem Geringeren als Freddie McGregor – alles unter deutschsprachigem Titel. Liegt Deutschland am Ende in Jamaica? Mir fehlen die kulturhistorischen Hintergründe, mir fehlen die Worte. Wie verlief hier die Christianisierung? War im Zusammenhang mit diesem Eiland nicht immer von ganz anderen Religionen die Rede? Oder ist es Geheimwissenschaft, sind Signifying Monkeys am Werk?
Es ist aber kein wirklich erkennbares Element von Ent-Stellung und Satyrspiel am Werk, nicht einmal im halbwegs kunstvollen Reggae-Stolpern, das hier alles in eine freundliche Verblödung einlullt (das Cover zeigt einen Weihnachtsbaum aus Graspflanzen). Hintendrauf klebt ein grüner Punkt. Nenn' es in Gottes Namen Folklore.
Gorgeous George
(Setanta/RTD)
Will I Ever Be Inside Of You
(Postcard/Marina/Indigo)
Männer auf verlorenem Posten. Edwyn Collins, über die Jahre ein ganz klein wenig – sagen wir: fleischig geworden, singt nach wie vor für den Widerstand in innerer Emigration befindlicher empfindsamer Teile der New-Wave-Generation. Eine Weiterentwicklung in inhaltlicher oder formaler Hinsicht im Vergleich zu damals, als er als Herz und Kopf der Band Orange Juice eine zeitlang das Modell der Stunde war, ist allein deswegen eigentlich nicht zu erkennen. Allenfalls ein unendlicher Regreß der Mittel: Wo der Versuch, als nicht sonderlich solider Handwerker so etwas wie weißen Soul zu kreieren, nicht ohnehin zum klassischen Singer-Songwriter-Modell abgerüstet wurde, höhnen einem Collins' eigensinnig appropriierte Disco- Rhythmen mit ihren „Shame-Shame-Shame-On-You“-Gitarren noch selbstquälerischer, noch sarkastischer entgegen, schweben synthetische Bacharach-Trompeten jetzt vollkommen bindungslos durch die Arrangements. „This music won't take you higher“, heißt es gleich zu Anfang. Wahre Worte, aus innerer Erkenntnis gesprochen.
Wenn Pop als Reflexion selbstbezüglich wird, ist natürlich immer ein Verfallsstadium erreicht. Collins ist ein nicht uneitler Dekadent seines im Grunde längst an nachfolgende Emporkömmlinge gefallenen Achtziger-Jahre-Kleinfürstentums. In „The Campaign For Real Rock“ empört er sich deshalb gegen Gott, die Welt und all die bösen Typen da draußen, die Pop zu dem gemacht haben, was er heute ist, ein Rundumschlag, der den leicht paranoiden Touch einer alternden Diva hat. Der Mann bleibt dabei aber so identifizierbar unberechnend, so großartig grüblerisch, so freischwebend versoult, daß „Gorgeous George“ von kommerziellen Erfolgen mit absoluter Sicherheit verschont bleiben wird – und schon deshalb dem Whimp in Dir dringend ans Herz gelegt werden muß. Die richtige Platte für unglamouröse Lebensphasen oder Jahre in der Niemandsbucht.
Quinn hat sich rein äußerlich besser gehalten als Mitstreiter Collins, mit dem er in den Achtzigern beim schottischen Postcard-Label seine hipsten Tage hatte. Entsprechend gern zeigt er sich in gediegenen Interieurs, läßt sich, ganz Dandy, rauchend, im Hausmantel und von Katzen umgeben vor holzgetäfeltem Hintergrund fotografieren – noch eine Bouteille, James! Und danach den Proust.
Aber oh, wie auch das dem Alltagsbewußtsein an die Substanz geht! „Will I Ever Be Inside Of You“ ist bis an die Grenze des Erträglichen gespanntes Altjungmännerdüsterpathos, mit künstlichen Geigen und allen Schikanen. Stimme will brechen, schwingt sich dann aber doch lieber zum elegischen Bariton eines Scott Walker empor, will hin zu Frauen, will weg von Frauen, barmt, hat's schwer. „You can't explain yourself/That's all you're saying/Well, everyone's a sucker/For a mystery.“
So wird's wohl sein. In die untere Ecke der Coverrückseite haben die Leute vom Marina-Label, die so idealistisch waren, Quinn in Deutschland rauszubringen, aus Scherz ein kleines Herz gemalt mit der Inschrift: „Support The Arts – Kiss A Musician“. Bloß nicht! Würde einen Mann wie den hier nur sinnlos erschrecken.
Live (Sony)
Zuerst nehmen wir Manhattan, dann Bad Oeynhausen. Anders als Dylan ist Cohen nicht von diesem Bedürfnis getrieben, seine Klassiker eigenhändig durchs Purgatorium der never ending Interpretation zu treiben. Auf „Live“, einem unaufwendig hergestellten Dokument der letzten Jahre auf Pilgerschaft, übt er Werktreue, kommt eher als Brother of Mercy, der den Leuten gibt, was sie von ihm erwarten: Lover's Rock der Mövenpick- Klasse, Soulchöre, Seelenmanna. „Bird On A Wire“ mit fruchtigen Zwischenschichten, andere Originale fast schon in Kuschelrock zu nennenden Saxophonarrangements, die aber komischerweise dem Klassiker im Song gar nicht wirklich schaden, ihn vielmehr in aller Konsequenz und Reife über dem Abgrund seiner eigenen Wohlgefälligkeit schweben lassen. So etwas nenn' ich sublim, auch wenn es nicht immer gleich so ankommt und Cohen in den tiefen Lagen manchmal wie Chris Rea brummelt.
Und nicht einmal das nimmt man ihm übel – was auch an der konsequent durchgehaltenen Leitmotivik liegen mag. Von wegen „Death Of A Lady's Man“ – „New Skin For The Old Ceremony“! Ein frühes Gedicht von Cohen bestand nur aus den Zeilen „Marita, please find me, I'm almost thirty“. Heute singt er „Dance me to the end of love“.
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