: Blind dates im Wohnzimmer
■ Hörspiele von Cineasten: Orson Welles, Max Ophüls und Rainer Werner Fassbinder (S2-Kultur)
Es gibt rechtshändige Künstler, die, um der Produktionsroutine zu entkommen, plötzlich mit links malen. Oder Schriftsteller, die aus dem gleichen noblen Grund ihre Muttersprache ad acta legen. Und wenn Filmemacher zum blinden Medium Radio schielen, dann weht der Wind wohl auch aus dieser Richtung.
Das geschieht dann nicht nur zum Vorteil des seitenspringenden Künstlers – das Hörspiel selbst profitiert erheblich! Wie sehr, ist ab heute in einer „S2-Kultur“- Reihe zu erlauschen. Da tat die Redaktion einen tiefen Griff ins Archiv und zog zum Beispiel Max Ophüls als Hörspielmacher hervor. Der hat mit seiner Rundfunkinszenierung von Goethes „Novelle“ (31. 12., 23.00 Uhr) nicht nur seiner hemmungslosen Bewunderung für den Geheimrat nachgegeben, sondern inszeniert diese klassizistische Friedensvision so liebevoll physiognomisch und impressionistisch – mit Morgennebel, wallenden Gewändern, weich ausgeleuchteten Idyllen –, daß Fulltime-Radioleuten noch heute die Spucke wegbleiben muß! (Abgesehen von einigem, heute unerträglich idealistischem Arkadien- Kitsch – was eh' dem Autor anzulasten ist und nicht dem Regisseur.)
Daß dem Filmemacher sein Flirt mit dem Mikrophon gefiel, hört man nicht nur der Inszenierung an, man erfährt es aus des Meisters Mund in einem Nachwort von filmhistorischem Wert: Stimmen nämlich hörte der Mann schon immer. Besonders damals in Hollywood, als Europa brannte und der Emigrant sich schlaflos im Bette wälzte. Da flüsterte Goethes Novelle dem Herrn Ophüls Mut zu und tatsächlich: Alles wurde einigermaßen gut.
1953, zehn Jahre nach besagter Szene, inszenierte der Regisseur im Nachkriegsdeutschland dieses „Dankbarkeitshörspiel“ (Herr O. im O-Ton). Und weil die Radioarbeit so schön war, düste er zwei Jahre später nochmal aus Paris an, um sich im Hörspiel „Gedanken über den Film“ (23. 12., 23.00 Uhr) zu machen. Die sind verspielt und komisch in einem dramatisierten Vortrag versteckt; als charmanter Antibürger plaudert Ophüls eine Industriellenrunde in Grund und Boden. Schwenkt selbstironisch Schwergewichtige Klassiker
über sein Arbeitsleben, rennt eindringlich gegen die Vertreibung des Traums aus der Filmwelt an und warnt schließlich vor der Vernichtung der Phantasie durchs Kassenschlagerdiktat.
Vom Unterhaltungswert mal abgesehen, ist dies alles so wahr, daß jedeR ProduzentIn und jedeR KulturpolitikerIn sich zum Anhören dieser Kassette zwangsverpflichten müßte! Spricht man von der reellen Macht der Fiktionen darf der schwergewichtige Klassiker Orson Welles nicht fehlen: Seine Science-fiction-Reportage „Der Krieg der Welten“ (26. 12., 16.00 Uhr) nach H. G. Wells, wirkte 1938 so dramatisch auf das noch naive Radiopublikum, daß es aus Angst vor gelandeten Marsmenschen in eine Massenpanik ausbrach. Ein interessanter Einschaltquotentest zudem: „The audience was listening!“
Eine superhohe Einschaltquote verdienen auch „Pre paradise sorry now“ (heute, 23 Uhr), „Keiner ist böse und keiner ist gut“, (morgen, 23.30 Uhr) und „Ganz in Weiß“ (26. 12., 23 Uhr). Es sind Hörspiele von Rainer Werner Fassbinder, der in den Radiodramen der frühen 70er ein enormes Gefühl für die akustische Bühne, den Hörfilm, an den Tag legte. Seine Themen sind bekannt: die Entlarvung von ritualisiertem, faschistoidem Alltagsverhalten und die Unterdrückung des sozialen Außenseiters. Sie werden angefertigt für die gefühlskalte Gesellschaft von Wirtschaftswunderkindern.
Fassbinder verstrickt Worte und Musik zu einer gleichberechtigten Erzähldramaturgie. Da raffen Schlagerschnulzen der 70er die Entwicklungszeit des Heimzöglings in „Ganz in Weiß“, markieren seinen unvermeidlichen Abstieg. Sie werden eingesetzt als rhythmisch wiederkehrende Totalen, die von Zooms auf den Jungen (Geflüster mit dem Freund unter der Bettdecke), auf die Kantinen- Öde (scheppernder Geschirrwagen) unterbrochen werden. So kommen beunruhigende Hörstücke zustande. Sie sind um so bedrückender, als wir nicht mit netten Leuten im Kino sitzen, sondern uns diesen Horror (alleine?) im Privaten anhören. Dort also, wo er nach Meinung des Regisseurs auch seinen Ursprung hat! Gaby Hartel
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