: Von der Maschine, die die Welt anhält
■ 100 Jahre Kino – das Fest hat begonnen: Das „Kino 46“ servierte Stummfilm, Musik und Literatur live/ „Bitte nicht auf den Boden spucken!“
Am Eingang stand ein Page im Livree, der auf einem silbernen Tablett die Programmhefte reichte, und in diesen wurde das Publikum von der Direktion „höflichst gebeten, das Aufbehalten von Kopfbedeckungen während der Projektion zu unterlassen! Nicht auf den Boden spucken!“. So mag es vor 100 Jahren bei den ersten cinematischen Projektionen zugegangen sein, und so wurden die Gäste auf der ersten Veranstaltung empfangen, bei der das 100ste Jahr des Kinos zelebriert wurde.
Den Bediensteten spielte Alfred Tews vom Kommunalen Kino, und die Uniform kam vom Kostümverleih – die Organisatoren der Festivität hatten sich etwas einfallen lassen, um den Jubiliar gebührend zu ehren.
Bei jeder Feier werden Reden gehalten, und da mußte das Publikum auch hier erstmal durch. Karl – Heinz Schmid vom Kommunalkino faßte sich noch erfreulich kurz, aber Staatsrat Dr. Gerd Schwandner ließ sich die Chance nicht entgehen. Er hielt einen ebenso ambitionierten wie langweiligen Vortrag, der natürlich mit einem Zitat von Kracauer begann und mit seinen ganz persöhnlichen Filmerfahrungen in dem gemütlichen, kleinen Studentenkino aus seiner Jugendzeit leider immer noch nicht endete.
Nach diesem Pflichtprogramm gings dann endlich mit einer Wochenschau aus dem Jahre 1927 zur Sache. Diese entpuppte sich als ein Sammelsurium von den verschiedensten Bildern. Nicht der Nachrichtenwert, sondern die möglichst spektakulären Aufnahmen waren bei solch einer Schau wichtig, und so konnte man in jeweils nur wenige Sekunden langen Sequenzen eine Nilfahrt, ein Autorennnen, süße Kinder, eine wilde Parforce-Jagd, Frauen in Badekostümen und noch viel mehr sehen.
Der Vorfilm wurde dann von den beiden Musikern der Silent Movie Music Company aus Freiburg begleitet. Auf dem Piano und vielen Perkussionsinstrumenten improvisierten sie zu den Bildern auf der Leinwand. Rene Clairs „Paris qui dort“ entpuppte sich als eine übermütige Groteske, in der ein Wissenschaftler eine Maschine erfindet, die die ganze Welt stehen läßt. Ein paar Pariser, die dem Experiment entgehen, streifen durch die erstarrte Stadt und machen es sich auf dem Eiffelturm gemütlich.
Als Divertimento vor der Haupt-attraktion las der Schauspieler Rudolf Höhn aus dem Roman „Der Kinoerzähler“ von Gert Hofmann vor: Erinnerungen an die Männer, die in den ersten Jahren des Kinos dem Publikum die stummen Filme erklärten, die Dialoge mitsprachen, sowie einige Geräuscheffekte und Musik machten. Ein literarischer Hinweis darauf, daß der Stummfilm nie stumm gewesen ist.
Bei der fehlerlosen Projektion einer sehr gut erhaltenen Kopie von „Berlin – die Sinfonie der Großstadt“ wurde dann tatsächlich die Filmkunst gefeiert, denn dieser Klassiker von Walther Ruttmann aus dem Jahre 1927 ist wie kaum ein anderer Film pures Kino. Er erzählt keine Geschichte, ja selbst das Portrait der Stadt Berlin tritt im Grunde hinter der Bewegung, den schnellen Montagen und rein filmischen Assoziationen zurück. Die neben der Leinwand spielenden Musiker wurden dem Film durch einen ähnlich assoziativen Klangteppich gerecht, in dem bekannte Songs aus der „Dreigroschenoper“ oder „Das ist die Berliner Luft“ zitiert wurden, und sich rhythmische Improvisationen entwickelten, die oft erstaunlich synchron zu den Montagen auf der Leinwand waren.
Dieser gelungene Auftakt der Festivitäten macht neugierig auf das weitere Programm mit über das ganze nächste Jahr verteilten Veranstaltungen, Ausstellungen und Seminaren.
Die meisten Termine stehen aber noch nicht fest, und auch die Finanzierung steht noch auf wackligen Füßen. Auf den Einladungen wurden die Zuschauer um Spenden gebeten. Kino und Geld – das ist schon seit 100 Jahren eine komplizierte Geschichte.
Wilfried Hippen
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