: What is los, Schlafmutzen?
■ Rock'n'Roll für die Verdammten dieser Erde: „Slayer“ gaben den Bremer Trashmetalfans ihre satanischen Verse
„Meine Theorie geht so“, sagt der junge Killer: „Du hast Scheiße gebaut – okay, es ist geschehen; und dann stirbst du.“ Seine Augen leuchten. Gestern abend, am Fluß, hat er – aus Versehen? – seine Freundin erstochen. Heute tun er und seine Kumpels so, als sei nichts geschehen. Donnern in ihrem aufgemotzten Käfer durch die Kleinstadt, verzweifelt, überdreht, aber irgendwie sehr gut drauf, und hören dabei „Slayer“, volle Dröhnung.
Der Mördersound von „Slayer“ als Tonkulisse für einen Film über den Irrsinn des Jungseins: Der Filmemacher Tim Hunter wußte, was er tat, als er die erste und ultimative US-Trashmetalband für den Soundtrack von „River's Edge“ heuerte. Das war 1986. „Slayer“ brachten „Hell Awaits“ heraus, ihre zweite LP, mit der sie bis heute geltende Maßstäbe setzten: „Die gemeinste, lauteste, härteste und schnellste Band auf diesem Planeten“ – so warb die Plattenfirma fortan für die vier Prügelknaben, die den Jugendlichen aus „River's Edge“ gar nicht so unähnlich waren. „Slayer“: Das ist der, irgendwie zu Musik geronnene, brutale Stumpfsinn gelangweilter Mittelschicht-Kids; „Slayer“ ist eine Kriegserklärung an den Rest der Welt, ein Amoklauf durch die Trümmer des American Way of Life. Und durchaus übertragbar. Seit zehn Jahren dröhnt das „Slayer“-Syndrom auch hierzulande. Über 3000 hartgesottene Fans gröhlten jetzt beim jüngsten Auftritt, in der Bremer Stadt- und Schweinehalle IV, im Mülltonnentonfall von Sänger Tom Araya mit: „Waaaaarrrrr!“
Das Satanszeichen? Mario und Frank grinsen ein bißchen teuflisch, spreizen Zeige- und kleinen Finger in die Luft. „Das soll irgendwie böse sein“, sagt Frank. Dabei sieht er eigentlich aus wie ein guter Junge. Keine Bürgerschreck-Maskerade, keine abgewetzte Lederkutte, keine Fettpeitsche, keine Hautprobleme. Straßenbahnfahrer und „Slayer“-Fan, seit Urzeiten, genau wie Markus. Ihre Theorie haben sie sich so zurechtgelegt: Wenn du das aggressive Dauerfeuer von „Slayer“ am eigenen Leibe erlebst, „dann haust du keine Oma auf der Straße um“. Eine Nacht lang „böse“ spielen, Haßkappe aufsetzen und Satanszeichen machen – dann wird alles wieder gut. Und so böse sind die schwarzen Lederjungs und -mädels ja auch gar nicht. „Hier fühl' ich mich sicherer als auf der Straße in Gröpelingen oder im Steintor“, sagt Mario und ordert den nächsten Plastikbecher Beck's.
Drinnen im Saal ist ordnungsgemäß die Hölle los. 3000 vorwiegend schreiende Leiber, die vor dem Fürsten der Verdammnis um Vergebung grölen, bzw. um Verausgabung. Tom Araya, Herr Satan persönlich, treibt die Menge an: „What ist los, Schlafmutzen?“ Feuerrot leuchtet die Kulisse, Schwefeldampf wird ständig von der Technik nachgelegt. Und die Luft vibriert. Die Schläge der Bassdrums – Paul Bostaph benutzt gleichzeitig zwei von der Sorte – klingen wie schweres Flakgewetter; die synchron flackernde Light-show besorgt den Rest der höllischen Weltkriegsstimmung. Körper fliegen in Richtung Bühne, sie fliegen zurück; die Saalordner im Bühnengraben haben zu kämpfen.
Vergeßt Tekkno! „Das hier ist noch Handwerk“, brüllt ein Fan, der sich direkt hinter der Bühne postiert hat. „Manche Bands versuchen ja auf jeder Platte was neues“ – nicht so „Slayer“: „Da weiß ich, was ich hab", sagt wiederum Mario. Zehn Jahre Teufelswerk, oder doch zumindest der clever vermarktete Anschein von Teufelswerk: Selbst die vielen jüngeren Nacheiferer, so das Qualitätsurteil von Mario und Frank, haben die Klasse von „Slayer“ nie erreicht. Diese glasharten Riffs. Diese Disharmonien, alles zerreißend. Und immer noch dieses Tempo. Die Texte...? „There is no future“, bellt Tom Araya, „there is no world to save!“ Und: „Raining bloooood, bleeding its horror, creating my structure, now I shall reign in blood!“ Alles „Provokation“, wehrt Frank ab. Auch die Nazi-Parolen? Die Stahlhelm-Auftritte von Jeff Hanneman, dem Gitarristen? „Ach“, seufzt Frank, „meinetwegen könnten sie sich das schenken.“ Wer hört überhaupt auf die Texte? Ein paar Fans dann doch wohl: Im Foyer brüstet sich einer mit dem Spruch „Slaytanic Wehrmacht“, in blutroten Lettern übers schwarze Hemd gebügelt – der Name des deutschen Fanclubs.
Aber die „Wehrmacht“ bleibt heute abend friedlich. Nach der letzten Zugabe, dem letzten Höllenschrei, verabschiedet sich Araya ausnehmend höflich von seinen Vasallen. Bier- und schweißnaß glücklich taumeln sie in die eiskalte Bremer Nacht, die Fans und die Fanatiker. Beim nächsten Höllenspektakel werden sie wieder ein paar mehr sein.
Thomas Wolff
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