: Den Blick nur nicht nach Süden richten!
■ Seit 50 Jahren Kartonagen in Familienbetrieb – ohne Schmiergeld und Camorra
Der Lärm in der gut eineinhalbtausend Quadratmeter großen Leichtmetallhalle ist ohrenbetäubend. Die gut drei Dutzend Frauen und Männer an den Maschinen und den Verschiebebulldozern tragen Ohrenklappen, um das Getöse der Maschinen beim Auf- und Zuklappen und das ruckelnde Quietschen der Förderbänder abzudämpfen. Nur einer scheint gegen jeden Angriff auf sein Trommelfell absolut gefeit: der Betriebsleiter Signor Acanfora. Er bewegt sich ohne alle Schutzvorkehrungen durch die Halle. „Man muß mitkriegen, was hier passiert, und sich nicht besserstellen als die Arbeiter“, sagt er und stemmt seinen einsachtzig großen, breitschultrigen Körper gegen eine schiefe Palettenpyramide. „Wo kämen wir sonst hin?!“
Das ist ein Grundrezept der Brüder Acanfora. Sie haben bereits vor fünfzig Jahren als Familienbetrieb angefangen und jahrzehntelang alle mitgewerkelt. Inzwischen haben sie sich zu einem der größten Kartonagen- und Kistenhersteller der Region Lazio gemausert. „So ziemlich alles, was in Mittelitalien Gemüsekästen aus Holz oder Pappe braucht, fragt zuerst einmal bei uns an.“ Die Preise sind günstig. „Konkurrenz haben wir faktisch keine“, sagt Direktor Francesco Acanfora. „Es gibt zwar eine ganze Reihe Firmen in der Gegend, die auch Kartonagen herstellen, aber sie sind im Vergleich zu uns zu klein, um überregional mithalten zu können.“
Mehr als 50.000 Kisten und Kästen stellt die Firma Acanfora monatlich her, im Vergleich zu gerade mal 5.000 der anderen Produzenten in der Provinz. So kann Acanfora, zumindest in der Hochsaison, den anderen Unternehmen ab und zu sogar Unteraufträge vermitteln. Das Erfolgsgeheimnis des Betriebes mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von umgerechnet zehn Millionen Mark und mitunter mehr als 50 Mitarbeitern?
„Vor allem nach Norden schauen“, sagt augenzwinkernd der Betriebsführer, Bruder des Firmenchefs Francesco. „Nach Norden schauen“ – das ist hier in der Gegend eine Chiffre, die vor allem bedeutet: „Nicht nach Süden orientieren.“ Denn dort, im Süden, nur gute 25 Kilometer entfernt, lockt zwar in Fondi der größte Gemüsemarkt Mittelitaliens, doch da herrscht die Camorra bereits so massiv, daß alle paar Wochen ein Marktstand oder ein Lastwagen in Flammen aufgeht.
Da sie das Glück haben, in einem weitgehend Camorra-freien Gebiet zu leben, haben die Acanforas daher gar nicht erst versucht, dort Geschäftsbeziehungen aufzubauen und sich den Erpressungen auszusetzen. Statt dessen haben sie sich, zunächst über eher zufällige Kontakte, dann systematisch, ihre Abnehmer weit oben im Norden gesucht: „Achtzig Prozent unserer Produkte gehen nach Deutschland.“ Zumindest indirekt – die Firma Acanfora stellt die Kisten und Kästen, die Pappkartons und die bedruckten Schachteln ausschließlich auf Rechnung der Gemüse- und Obsthändler her, die diese dann mit ihren Gütern füllen und exportieren. „Doch der Kontakt mit den Deutschen ist gleichwohl da“, sagt Acanfora stolz, „denn viele der dortigen Abnehmer schauen inzwischen auch schon mal bei uns vorbei, gucken nach, wie wir das machen – und verlangen dann ausdrücklich, daß die Verpackung von uns hergestellt wird.“
Das ist die Folge einer vor Jahren eingeleiteten Werbekampagne, in der die Firma auf ihre von Imprägnierungs- und Entfeuchtungsmitteln freien, schadstoffarmen Materialien und Bearbeitungsmethoden aufmerksam gemacht hatte. Damals war dieser Werbefeldzug von allen Seiten belächelt worden, doch nun trägt er seine Früchte. Der Betrieb ist im Umland der Klein- und Badestadt Terracina die einzige, wenn auch kleine Industrieanlage, die sich über Jahrzehnte hinweg nicht nur gehalten hat, sondern sogar expandieren konnte. Bei einer Pleitequote von mehr als zwanzig Prozent aller Gewerbebetriebe in den letzten zehn Jahren ist das keine geringe Leistung. Werner Raith, Terracina
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