: Aussage in Schnipsel-Form
■ Polizeiskandal: Verfahren gegen Bereitschaftspolizisten wegen Mißhandlung der Journalistin Marily Stroux wird wieder aufgerollt Von Kai von Appen
Erneut schwere Vorwürfe gegen die Hamburger Staatsanwaltschaft und die polizeiinterne Ermittlungsgruppe „PS 3“. Im Verfahren gegen BereitschaftspolizistInnen (Bepos), die am 25. November 1992 in der Hafenstraße die Foto-Journalistin Marily Stroux schwer verletzten, haben die Ermittler auf eigene Recherchen im Polizeiapparat verzichtet. Das belegen der taz zugespielte Unterlagen. Das Verfahren wird nun wieder aufgerollt.
Marily Stroux war damals beruflich vor Ort, als in der Häuserzeile eine Wohnung geräumt werden sollte. Schon in der Wohnung wurde sie von Bepos der Einheit „954“ an der Arbeit gehindert. Was sich dann abspielte, hielt ein der taz zugängliches Polizeivideo fest: Stroux: „Ohne Anfassen!“ – Bepo: „Keine Fotos!“ – Stroux: „Ich mache nur meine Arbeit“. – Bepo: „Ich mache meine Arbeit noch viel mehr.“ – Stroux: „Laß mich los!“, dann Schmerzensschreie.
Mehrere Zeugen beobachteten, wie Stroux die Stufen heruntergestoßen wurde, Beamte auf sie einschlugen und gewaltsam mit umgedrehten Armen nach draußen brachten. Bilanz der Attacke: Steißbeinbruch, Prellungen und eine demolierte Kamera.
Die Ermittlungen übernahm damals „PS 3“, die sowohl Stroux als auch die Zeugen vernahm, jedoch keinen der beteiligten Bepos. Statt dessen schrieb „PS 3“ an 954-Zugführerin Friesicke. Die Einsatzleiterin führte dann die Ermittlungen gegen sich und ihre Truppe selbst durch. Auf vier Blättern wurden von Beamten Absätze – offenkundig aus ihren Einsatzberichten – zu einer Kollektiv-Aussage zusammengeklebt. Friesickes Beteuerung: „Die Frau wurde zu keiner Zeit durch irgendeinen Beamten körperlich berührt.“ „PS 3“ verzichtete darauf, eventuelle Täter durch Anforderung des Einsatzplans (Namensliste) des Zuges 954 zu ermitteln. Staatsanwältin Marion Zippel – die im Verlauf des Polizeiskandals wegen ihrer laxen Ermittlungspraxis bei Polizeidelikten in die Kritik geraten ist – begnügte sich mit der Kollektivaussage und stellte das Verfahren im Oktober 1993 ein. Begründung: Das gewaltsame Verbringen der Anzeigenden stelle keine rechtswidrige Nötigung durch die Beamten dar. Zippel weiter: Jedenfalls könne eine unzulässige Gewaltanwendung keinem bestimmten Polizisten zugeordnet werden.
Stroux' Anwältin Barbara Ede ist fassungslos: „So eine Art von Nicht-Ermittlungen habe ich noch nie erlebt.“ Es sei unglaublich, daß „PS 3“ weder die Beschuldigten vernommen noch die Einsatzberichte angefordert habe. Auch Staatsanwältin Zippel habe „nichts gemacht und aufgrund von ein paar Schnipseln das Verfahren eingestellt“.
Im August 1994 ist das Verfahren auf Direktive von Generalstaatsanwalt Arno Weinert wieder aufgenommen worden. Eine Bewertung des Verfahrens wollte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger, gegenüber der taz allerdings nicht vornehmen: „Ihnen liegt die Akte vor, Sie können sie selbst bewerten.“ Auch in der Innenbehörde gab man sich gestern zurückhaltend. Sprecher Peter Mihm: „Seit dem 25. November ist das Verfahren wieder bei ,PS 3'. In den nächsten Tagen werden sechs Polizeibeamte vernommen.“
Marily Stroux leidet noch heute an den Folgen des Steißbeinbruchs.
(Siehe dazu heute: „DAS“, N3, 18.45 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen