piwik no script img

Und wer ist nun das Schwein?

■ Resümee der taz-Serie „Asbest – die geleimten Opfer“ (12)

Tausende von BremerInnen sind asbestkrank. Sie haben bei Toschi, im Hafen, bei Klöckner oder auf den Bremer Werften gearbeitet. Der Wunderstoff von einst verhärtet ihre Lunge (Asbestose) oder reizt die Zellen zu Krebs-Wucherungen. Nicht umsonst heißt das griechische Wort Asbest auf deutsch „unvergänglich“. Die Wirtschaft verdiente gut am Asbest, zögerte ein Verbot trotz der bekannten krebserzeugenden Wirkung hinaus (absolutes Verbot ab 1.1.95). Doch nur die wenigsten der Opfer werden entschädigt.

Wer ist schuld, fragten wir in einer Art Anhörung Kranke, prozessierende Witwen, Gewerbeärzte, eine Berufsgenossenschaft, einen Gutachter, ein Rentenausschuß-Mitglied, eine Politikerin, einen Rechtsanwalt und einen Arbeitschutz-Spezialisten vom DGB. Niemand wollte Schwein sein. Alle wiesen den Schwarzen Peter weiter. Am allerliebsten nach ganz oben, nach „Bonn“.

Fangen wir also „oben“ an, bei den gesetzlichen Hürden für eine Entschädigung: Der Gesetzgeber hat noch immer nicht die von Deutschland 1980 unterschriebene erweiterte Berufskrankheitenliste der Internationalen Arbeitsorganisation in deutsches Recht umgesetzt. Danach müßte zum Beispiel ein Asbest-Lungenkrebs auch ohne eine zusätzliche Asbestose entschädigt werden. Aber auch jetzt schon könnten sich GutachterInnen auf diese Liste berufen – nach einem Paragraphen der Reichsversicherungsordnung: „Berufskrankheit nach neuer Erkenntnis“. Mumm müßten sie haben!

Vor allem für die Asbestose-Kranken sind die gesetzlichen Hürden für die Entschädigung zu hoch angesetzt. Sie haben eine vernarbte Lunge, können aber oft noch ganz gut schnaufen. Da als Maßstab für die „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ nicht der tatsächliche Verlust an Chancen auf dem Arbeitsmarkt gilt, sondern die Einschränkung der Lungenfunktion, gehen viele Asbestose-Kranke leer aus. Dabei können sie nirgendwo mehr arbeiten, wo Stäube durch die Luft fliegen.

Nicht entschädigt wird sowieso das Risiko, daß sich die Asbestose rapide verschlechtert und zum Ersticken führt, genausowenig wie das Risiko, daß zur Asbestose ein Lungen- oder Rippenfellkrebs kommt. Die Betroffenen leben in Angst, fallen in Depression, doch für diese Minderung der Lebensqualität gibt's keine Entschädigung.

Aber schon die derzeitige Regelung bietet Spielräume, die offenbar von den GutachterInnen nicht genutzt werden – aus Angst vor dem Verlust von Renommée und Aufträgen. GutachterInnen könnten darauf dringen, daß auch eine 10-prozentige Lungenfunktions-Einschränkung in die Akten kommt. Diese 10 Prozent würden sich mit anderen Berufskrankheiten von IndustriearbeiterInnen leicht über die entschädigungspflichtige Schwelle von 20 Prozent addieren.

Spielraum scheint es auch bei der Messung der Lungenfunktion zu geben: Bestimmte GutachterInnen sehen auffallend häufig keine Einschränkung des Atemvolumens, besonders offenbar ein Gutachter, der in einem Institut der Berufsgenossenschaften arbeitet – ein Unding an Abhängigkeit.

Weitere Asbestkranke bleiben ohne Entschädigung, weil die Berufsgenossenschaft keinen Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem früheren Arbeitsplatz sehen kann. Sowas hängt natürlich auch von der Intensität der Recherche ab. Sicher, erst spät haben die Betriebe begonnen, systematisch die Luft am Arbeitsplatz zu messen. Muß man eben findig sein, z. B. ehemalige Arbeitsschutzleute fragen, die jetzt in Rente sind. Für solche Recherchen müßten die Arbeitgeber ihren Berufsgenossenschaften mehr MitarbeiterInnen genehmigen.

Die allermeisten Asbestkranken werden den Berufsgenossenschaften jedoch gar nicht erst angezeigt – die Dunkelziffer wird vom DGB auf das Zehnfache geschätzt. Grund: Viele ÄrztInnen haben wenig Ahnung von Berufskrankheiten, fragen bei Lungenkrebs nicht nach der beruflichen Vergangenheit. Arbeitsmedizin wird klein geschrieben an den Unis. Für diese Fortbildung der ÄrztInnen müßten aber auch die Berufsgenossenschaften sorgen.

Tatenlos bräuchten allerdings auch die beiden Bremer SPD-Senatorinnen für Gesundheit und Arbeit nicht zusehen. Sabine Uhl könnte die Position der ihr unterstellten Landesgewerbeärzte stärken – deren Vorschläge für eine Entschädigung werden nämlich oft von den Berufsgenossenschaften überstimmt. Und sie könnte sich beim Bundesversicherungsamt beschweren über bestimmte Berufsgenossenschaften. Nicht zuletzt steht Uhl und Gaertner ja auch ein SPD-dominierter Bundesrat zur Verfügung.

Ein bißchen mehr Mumm zeigen müßten übrigens auch die Arbeitnehmer-VertreterInnen in den paritätisch besetzten Renten-Ausschüssen der Berufsgenossenschaften: Statt über ihr Laientum zu klagen und einfach die Vorschläge der Gutachter zu unterschreiben, sollten sie jede Unterschrift verweigern.

Christine Holch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen