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Der Tanz ums Goldene Kalb

Künstler-Ego im Wandel, Hängungs-Willkür und Firmen-Sponsoring: Max Beckmann in Stuttgart  ■ Von Christian Gampert

Es hat immerhin eines Weltkrieges bedurft, um aus Max Beckmann einen modernen Maler zu machen. Bevor er im Juli 1915 als Sanitätssoldat einen Nervenzusammenbruch erlitt, hatte Beckmann sich auf dubiose Weise als Nietzscheaner begriffen und das Leben als Kampf gefeiert, hatte pathetisch pralle, barocke Leiber gemalt, die sich dem Untergang entgegenwinden – aus dem dann angeblich das Neue entsteht.

Von der Bürgercouch – oder auch aus dem Atelier in Berlin- Hermsdorf – ließ sich zu Beginn des Jahrhunderts manches als „dionysisch“ betrachten, was in Wahrheit eher den Zusammenbruch sozialer Systeme ins Bild brachte. „Das ganze pulsierende fleischliche Leben“ wollte Beckmann darstellen – und malte dann so ungeheuer Pulsierendes wie den „Untergang der Titanic“, wo der nur muskulär begriffene Kampf ums Dasein, um die Rettungsboote in einem gewalttätigen Wellenspiel absäuft; oder wie das „Erdbeben von Messina“, ein dunkles Chaos böser Körper, Plünderung, Vergewaltigung – das alles fasziniert den verschreckten Bürger Beckmann.

Insgesamt zeigt das Frühwerk eine erstaunliche stilistische Unsicherheit, fade impressionistische „Seestücke“ (im Gefolge der Berliner „Sezession“), Helldunkelmalerei und fette Rubenssche Akte wechseln sich ab, dazwischen eine seltsam leere „Ballonwettfahrt“, die die Nazis später „entartet“ fanden, und an Goya angelehnte Sozialreportagen. Die hochformatige „Auferstehung“ von 1909 ist im unteren Teil wilhelminisches Salonbild, während im oberen ekstatische Leiber dem Jenseits entgegenschwurbeln – diesen an El Greco und Tintoretto angelehnten Kitsch hätte, mit Verlaub, sich auch meine Großmutter ins Schlafzimmer hängen können, wäre es denn hoch genug gewesen.

Die Stuttgarter Ausstellung zeigt dann aber auch den Bruch: „Auferstehung“, zweiter Versuch, unvollendet, von 1916. Die skelettierten, verrenkten Menschengestelle, die aus Trümmern in ein fahles Tageslicht kriechen, bewegen sich in einer auch räumlich zerstörten Welt. Auflösung der Zentralperspektive, riesige kalkige Leerflächen, aus einer gruftigen Loge schaut der Maler in ein an Hieronymus Bosch erinnerndes Szenario, und die Sonne ist ein schwarzes Loch – ein Bild am Ende aller Bildversuche, eine Kapitulation.

Und ein Neuanfang. Von den Angstphantasien, die Beckmann in den Nachkriegsjahren auf Leinwand brachte, ist in Stuttgart leider nur „Der Traum“ ausgestellt, diese kasperlhaft in einer gotisch verzogenen Dachkammer angeordneten Menschenstümpfe, die zum Teil schon die Requisiten des späteren Beckmann-Kosmos mit sich führen: den stets phallisch gebrauchten Fisch, die Trompete, die Artisten-Trikots... Aber es fehlt, nur als ein Beispiel, das so zentrale Bild dieser Phase, „Die Nacht“, wo Beckmann eine Familie im Würgegriff politischer Vagabunden und Streuner auseinanderdividiert.

Das liegt daran, daß die Staatsgalerie, sofern sie die Bilder nicht selber besitzt, einfach die Sammlung des St. Louis Art Museum ausgeliehen hat – und die hat merkwürdige, banale Schwerpunkte und große Lücken, die man hätte füllen, denen man mit einer eigenen Konzeption hätte begegnen müssen. Nichts davon. Ein Teil der Staatsgalerie wird renoviert, man hat nur wenig Geld für den Ausstellungsbetrieb, und deshalb läßt man sich von der Firma Daimler-Benz einfach die Sammlung aus Amerika herbeisponsern.

Nun hätte man Beckmann zur Retrospektive wesentlich besser positionieren können. Von den Triptychen über die Portraits, von der neusachlichen bis zu der knallfarbigen Spätphase; von seinen stets mythologisch gebrauchten Requisiten und Codes bis zum politischen Subtext der Bilder aus Weimar und dem Exil gäbe es genügend Inszenierungsanlässe. Die Stuttgarter verfahren statt dessen nach dem paternalistischen Fördermodell, lassen sich von Papa Daimler eine Ausstellung kaufen – und entschuldigen sich dann mit einem exzellent gemachten Katalog, der nicht nur brillante Kommentare (Karin von Maur), sondern auch jede Menge Bild- und kunsthistorisches Vergleichsmaterial bietet.

Das dort erarbeitete Beckmann-Bild ist zumindest lehrreich – während man im Flickwerk der Ausstellung zwischen Euphorie und Trübsinn pendelt. Gelegenheitsarbeiten (wie „Tiergarten im Winter“ oder „Quappi mit Fisch“), die man auch weglassen könnte (wenn nicht müßte!), stehen ohne erkennbare Erzählmotivation neben Meisterwerken wie „Lido“ oder „Hölle der Vögel“. Viele der gezeigten Stilleben und Landschaften sind offenbar nur einem formalen Ausprobieren gewidmet; die aus der Spätphase stammenden Auftragsportraits amerikanischer Kaufhausbesitzer etc. zeigen zwar manchmal die Kraft und Klarheit von Beckmanns figurativer Malerei, aber ihre künstlerische Sprengkraft kommt eben nur innerhalb des szenischen Symbolkosmos zum Vorschein, in den Artistenbildern und Triptychen, im Spiel mit Mythologie und Maskerade.

Am konsequentesten wäre Beckmanns Entwicklung wohl anhand der Selbstportraits zu verfolgen gewesen. Der Kriegsheimkehrer malt sich als völlig verlorene, bleiche, in die Ferne starrende Figur „mit rotem Schal“. Wenig später wird er mit seiner merkwürdigen, stets leicht christologisch angehauchten Selbstmythisierung beginnen, vom aufdringlich-selbstgefälligen „Selbstbildnis im schwarzen Smoking“ (1927, nicht in Stuttgart) über das mahnend- anklagende „Selbstbildnis mit Horn“ des Exilanten (1938, nicht in Stuttgart) bis zum eitlen „Selbstbildnis in blauer Jacke“ (1950). In der Exilsituation verfestigt sich auch Beckmanns Eigenwahrnehmung als „Akrobat auf der Schaukel“ (1940); die nun mit leuchtender Farbigkeit argumentierenden Triptychen sind wirklich moderne Mittel zur Andacht, weltliche Kunstaltäre (mit Figuren, die wie sehr fremde Dinge herumstehen) – aber auch davon ist in Stuttgart nur eines zu sehen („Akrobaten“).

Die Ausstellung lohnt vor allem wegen der „Hölle der Vögel“ von 1938, die eine mit Tierwesen bevölkerte Folterkammer mit allerlei Symbolik und greller Farbigkeit politisch auflädt: Vom geldzählenden (Reichs-)Adler über vierbrüstige, die Hand zum Hitlergruß reckende Jungfrauen ist alles in ein flackerndes, aggressives Licht getaucht, wie ein Ku-Klux-Klan-artiger Spuk. Aber selbst nach dem Sieg der Alliierten will sich bei Beckmann kein Wohlgefallen einstellen; 1945 malt er den Triumphzug der Sieger (durch Amsterdam) als „Abtransport der Sphinxe“: Unterdrücker und Befreier werden im Moment des Siegeszuges seltsam identisch. Das Bild spielt mit den Farben der Trikolore, mit Hinweisen auf germanische Festumzüge, die Nationalversammlung, die Guillotine. Kriegsende für einen Pessimisten. Neben einer Reihe von Portraits, die in ihrer modernen Klassizität erstarren, dann noch einmal bedrohlich-anziehende Sexualität in Gestalt einer „Columbine“, einer pyramidalen Puppe mit Fastnachtsmaske und geöffneten Schenkeln: die Frau als angsteinflößende Marionette, als Attrappe.

Daß auch Beckmanns späte Jahre, nach der Auswanderung nach Amerika, nicht ohne Bitternis waren, belegt die virtuose Komposition „The Town. City Night“ (von 1950, Beckmanns Todesjahr): Um einen zentral gelagerten weiblichen Akt tanzen Karikaturen und froschige, gnomige, tiermenschliche Mischwesen wie ums Goldene Kalb. Eine scharfkantige Parodie von New Yorker Business und Kulturbetrieb – und leider auch eine Beschreibung dessen, was momentan in Stuttgart sich abspielt. Die Staatsgalerie zeigt eigentlich nur, daß auch Ausstellungen eines Klassikers der Moderne nicht mit dem Hängen irgendwelcher zufällig gerade verfügbaren Sammlungen zu bewältigen sind. Und daß Kultursponsoring enorm anfällig macht für diese Art Beliebigkeit. Wenigstens das Stuttgarter Staatstheater hat das erkannt: In Jürgen Kruses „Richard II.“-Inszenierung geht am Ende ein Lappen hoch mit der Aufschrift „Sponsored by Volksfloyd“. Was wohl heißt: Das Volk zahlt, wir machen die Kunst. Im Vergleich zur Firmenkunst eine wirkliche Alternative.

„Max Beckmann, Meisterwerke 1907–1950“, bis zum 8.1. in der Stuttgarter Staatsgalerie. Der superbe Katalog kostet 39 DM.

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