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■ Cash & CrashModebummel in Mailand

Berlin (taz) – Historischer Tiefpunkt: so wird seit Wochen stereotyp der Kurs der italienischen Lira beschrieben. Wann wir endlich den historischsten aller Tiefpunkte begrüßen dürfen, ist noch offen. Denn ob die noch vor Weihnachten erwartete Abstimmung über das Mißtrauensvotum gegen Ministerpräsident Berlusconi zu einer die Märkte beruhigenden Klärung führt, ist angesichts der verzwickten Parteien-Arithmetik doch fraglich.

An der Mailänder Börse jedenfalls scheint den Aktiendealern flau im Magen zu sein, und ensprechend flau sind die Umsätze. Nur ein Häppchen Fiat, ein Schnitzelchen von Olivetti-Papieren durfte es gelegentlich sein. Denn diese beiden Unternehmen konnten gerade mit deutlich nach oben korrigierten Gewinnprognosen aufwarten.

Die sensiblen Nerven der Börsenfüchse in Ehren. Aber mit der realen Wirtschaftslage hat das derzeitige Muffensausen wenig zu tun. Denn die Abwertung der Lira ist Italien in den letzten Jahren vortrefflich bekommen. Im September 1992 war die Lira nach heftigen Kurseinbrüchen aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) rausgeflogen. Die kräftige Abwertung der italienischen Währung führte zunächst schnell zu exzellenten Exportergebnissen.

Seit die italienische Zentralbank ihre Währung nicht mehr mit hohen Zinsen zu stützen braucht, gedeiht die Wirtschaft viel besser als vorher. Der Zinssatz, der 1992 schon 18 Prozent erreicht hatte, sank zeitweilig auf weniger als die Hälfte dessen. Investitionen lohnten wieder, die Inflation sank, das Geschäftsklima wurde laut Umfragen der EU-Kommission immer besser. Eine ganze Reihe Firmen kann für 1994 Gewinne verkünden, die klar über den Prognosen liegen.

Zugegeben, ein kleines Risiko besteht, daß ab sofort alles ganz anders und ganz schrecklich wird. Dann nämlich, wenn ob des politischen Chaos' in Rom verängstigte Investoren Italien den Rücken kehren und ihr Kapital massenhaft ins Ausland schaffen. Das würde nicht nur die Aktienkurse, sondern auch den Kurs der Lira auf noch viel historischere Tiefpunkte abstürzen lassen. Die Notenbank könnte sich dadurch gezwungen sehen, die Investoren durch deutlich höhere Zinsen zur Rückkehr zu bewegen. Das wiederum hätte wegen der Verteuerung von Investitionen den bekannten negativen Effekt auf die Konjunktur. Und mit der Konjunktur brechen die Aktienkurse ein.

Aber so richtig rechnet an der Mailänder Börse damit niemand. Auch ausländische Investoren scheinen sich wieder, wenn auch erst vorsichtig, für Italoaktien zu interessieren, meldet die Financial Times. Und wenn im kommenden Jahr erst die abtrünnige Liga Nord die Macht ergreift, Norditalien zur autonomen Republik mit dem Börsensitz Mailand als Hauptstadt und den Mezzogiorno zur Kolonie erklärt, gibt's für Aktienhaie ohnehin kein Halten mehr.

Was also machen wir Weihnachten? Wir tauschen das Weihnachtsgeld günstig in Lire um, fahren nach Italien in Urlaub und decken uns nach dem Modebummel im Mailand noch schnell spottbillig mit Aktien ein. Nicola Liebert

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