: „Komm mit“ ins Vaterland
Alle reden vom katholischen Jugendkalender 94, wir rezensieren die Ausgabe von 1995 / Plädoyers für Volk, Vaterland und Lebensschutz ■ Von Jeannette Goddar
Ein großartiger Julitag neigt sich dem Ende zu. Wir, eine sturmerprobte Schar von einem Dutzend 13jähriger Jungen, stampfen zügig durch eine Voralpenlandschaft.“ Der Verfasser dieser Zeilen hat seit einigen Wochen eine neue Ministerin, die einst für die gleiche Publikation warb, an die er sein schönstes Ferienerlebnis schickte – den umstrittenen Jugendkalender „Komm mit“. „Mir imponiert die Art und Weise, wie Sie jungen Menschen christlich katholisches Gedankengut nahebringen“, grüßte die damalige CDU-Abgeordnete und jetzige Jugendministerin Claudia Nolte in der Ausgabe für 1994 den Herausgeber des freifinanzierten deutsch-nationalen katholischen Taschenkalenders. Zu dem veröffentlichten Gedankengut gehörten unter anderem das Deutschlandlied in allen Strophen sowie eine Deutschlandkarte von 1937. In der vergangenen Woche geriet Nolte im Bundestag wegen ihrer „unkritischen Haltung gegen Rechts“ (Edith Niehuis, SPD), ins Kreuzfeuer der Kritik. Eilig versprach Nolte, den 1995er Kalender vom Innenministerium auf Verfassungsfeindlichkeit überprüfen zu lassen. Das Grußwort sei von ihr bereits 1991 verfaßt worden, erklärte sie.
Die notdürftig geläuterte Ausgabe für das kommende Jahr wird in diesen Tagen überwiegend auf Anforderung konservativer katholischer Gemeinden in ganz Deutschland verschickt und dort rechtzeitig zu Weihnachten an Ministranden verteilt. Auf 419 Seiten findet sich darin eine ganze Palette reaktionärer Ansichten bis hin zu rechtsextremem Gedankengut. So schließt sich an die Rede von „Landsleuten in Berlin und Dresden und in vielen anderen Städten Mitteldeutschlands“ an: „Zunächst einmal (sic!, d. Red.) sollte die polnische Regierung wenigstens bereit sein, die Volksgruppenrechte der deutschen Minderheit in den Oder-Neiße-Gebieten zu akzeptieren.“ Die Verurteilung der Vertreibung von 12 Millionen Deutschen aus den Ostgebieten müsse selbstverständlich sein.
Was den Deutschen am meisten fehlt, ist der Patriotismus („eine sittliche Pflicht“), lernen wir. „Komm mit“ fordert zum Gebet für Deutschland auf. „Um einen Patriotismus zu finden, sind folgende Werte hochzuhalten: Liebe zu Volk und Vaterland, zur Freiheit, zur Demokratie und zum Rechtsstaat.“ Nur wenn der Patriotismus mit seiner „hellen Seite“ sich entfalten könne, schlage er nicht als verdrängter Nationalismus zurück. Dies, so „Komm mit“, sei aber angesichts der „abgeleierten Antifa-Schablonen der linken Zeitgenossen“ fürchterlich schwer zu vermitteln.
Der in Münster verlegte Kalender hält auf 21 Seiten ein flammendes Plädoyer für Volk und Vaterland: Auf 21 Seiten findet sich ein genauso flammendes Plädoyer für „Lebensschutz“ und gegen Abtreibung („Ermordung eines vorgeburtlichen Menschen“), gespickt mit diversen Leserbriefen lebensschützender CDU-Abgeordneter sowie – erneut abgedruckt –, einer Stellungnahme von Claudia Nolte: „Ich möchte allen jenen danken, die mich zum Thema Schutz des ungeborenen Menschen unterstützen.“ Unterstützungswillige Leser können über „Komm mit“ T-Shirts, Aufkleber und Plakate beziehen: „Rettet die Menschenbabys“, „Treue schützt vor Aids“ oder „Sag ja zum Leben – Abtreiben ist unmenschlich“, steht darauf geschrieben.
Der Überprüfung durch das Innenministerium sehe er „gelassen entgegen“, erklärte Herausgeber Günter Stiff, der die Vorwürfe als „ideologische Spinnereien“ bezeichnet, in der vergangenen Woche. Unterstützt vom Bischof von Fulda, Johannes Dyba, der den 95er Kalender als „sehr gelungen“ bezeichnet, und dem konservativen Friedensforscher Alfred Mechtersheimer („Die Publikation ermutigt junge Menschen zu einer positiven Haltung gegenüber ihrem Land“), kämpft er weiter für die Verbreitung seines Werks.
Patriotismus sei nicht rechtsextrem, erklären die Verteidiger des Jugendkalenders. Für die Verbreitung offen rechtsextremer Ansichten haben „Komm mit“-Mitarbeiter andere Foren: Die Mitarbeiterin Felizitas Küble ist wiederholt als Autorin in der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Zeitschrift Nation und Europa aufgetaucht. Und wer nach der Lektüre des Kalenders noch nicht genug gelesen hat, wird von dort mit 350 Adressen an einschlägige Publikationen, Verlage und Verbände verwiesen: Von den rechtsextremen Jungen Freiheit und Wir selbst über Criticon bis hin zu zahlreichen Vertriebenenzeitschriften. Der Weg zur „Schlesischen Jugend“ wird ebenso gewiesen wie zur „Union für Südtirol, den Gruppen „Wahre Liebe wartet – Jugend-Aktion für sexuelle Enthaltsamkeit bis zur Ehe“, „Geborene für Ungeborene“ und „Mut zum Leben.“
So dubios der Kalender ist, ihn in die Finger zu bekommen, grenzt an eine Odyssee: Vom Bund der deutschen katholischen Jugend bis hin zu unabhängigen Jugendgruppen wird abgewunken. „Damit wollen wir nichts zu tun haben.“ Stiff ist auf seinen Genossen Dyba angewisesn: Der forderte in der vergangenen Woche begeistert schriftlich weitere dreihundert Exemplare an.
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