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Das böse Gesicht des Frühkapitalismus

■ Arbeitgebervorstellungen zur Kostensenkung stießen gestern auch in der Bundesregierung auf Kritik / Breite Front von Unionspolitikern, Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegen Stihl und Murmann

Bonn (AFP/taz) – Im dritten Quartal des Jahres erreichte die westdeutsche Wirtschaft einen historischen Produktionsrekord. Doch was soll's. Arbeitgeberchef Klaus Murmann möchte den Samstag wieder zum normalen Arbeitstag machen. Der jüngste Coup von Hans Peter Stihl: Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) fordert, für Kranke das Urlaubsgeld zu kürzen.

Diese Vorstöße der Arbeitgeber stießen gestern auf den breiten Widerstand von Gewerkschaften und Politikern. So warnte „Zukunftsminister“ Jürgen Rüttgers (CDU), die öffentliche Debatte über Lohnkürzungen „verhärtet die Fronten, statt sie aufzubrechen“. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit lasse sich nicht allein auf die Löhne reduzieren. Vorrangig sollte überlegt werden, wie die Lohnzusatzkosten gesenkt und Innovationshemmnisse beseitigt werden könnten. Für den SPD- Chef Rudolf Scharping werden nach diesen Vorschlägen die Kosten einseitg auf die Arbeitnehmer abgewälzt. Wenn Unternehmer etwa die Abschaffung des arbeitsfreien Samstags forderten, wollten sie damit nicht flexiblere Arbeitszeiten durchsetzen, sondern ihre Kosten bei den Samstagszuschlägen senken.

Dagegen bekräftigte der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Hans-Joachim Gottschol, daß Arbeitsplätze derzeit wichtiger als Lohnerhöhungen seien. Gottschol betonte in der Leipziger Volkszeitung: „Die Verantwortung für den Erhalt von Arbeitsplätzen ist größer als die für höhere Löhne.“ Denkbar sei etwa, „das Einkommen von 1990 im Westen halten“. CDU/CSU-Fraktionsvize Heiner Geißler rief Gewerkschaften und Arbeitgeber zu einer weniger starren Haltung in Tariffragen auf. Er forderte die Gewerkschaften auf, sich stärker als bisher auch als „Anwalt der Arbeitslosen“ zu verstehen. Die Arbeitnehmer sollten beim Abschluß von Tarifverträgen flexibler sein. Er wolle keinem „Lohn-Dumping“ das Wort reden. Die Maschinenlaufzeiten müßten aber verlängert werden.

Der Vorsitzende der IG Bau- Steine-Erden, Bruno Köbele, entdeckte in den Arbeitgeberideen allerdings das „böse Gesicht des Frühkapitalismus“. „Nachdem die Bedrohung durch den Sozialismus weg ist“, so Köbele, „lassen einige Unternehmer die Maske fallen.“

Einzig der Chef der IG Chemie, der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Rappe, behielt einen kühlen Kopf. Er meinte gestern zu den Vorschlägen Stihls und Murmanns: „Damit befassen wir uns nicht. Die Grenze der Albernheit ist überschritten.“

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